Was Männlichkeit für Schwule bedeutet

“Er ist halt extrem schwul”, erzählt mir eine Freundin beim Kaffee—und ich merke gleich, wie unangenehm ihr die eigene Wortwahl in diesem Moment ist. Ich grinse belehrend. Es ist dieser müde Blick mit erhobenen Augenbrauen, der ungefähr sagt: “Du weißt eh, dass das nicht okay ist, was du da sagst.”

Schließlich hatten wir diese Diskussion schon öfter, und gerade bin ich es einfach leid, sie deswegen zu ermahnen. Sie grinst unschuldig zurück. Ich verstehe. Der schwule Studienkollege, von dem sie mir gerade erzählt, hat ihrer Ansicht nach also eine sehr feminine Art.

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Schwul” wird nach wie vor häufig als Schimpfwort verwendet. “Sorry, ich meinte schwul im Sinne von scheiße, nicht schwul schwul” ist nach wie vor eine sehr faule Ausrede dafür. Für viele aber bedeutet “schwul” vor allem eines: ein Synonym für “weiblich”—oder noch besser gesagt “effeminiert“. Schwul steht also sinngemäß für “verweiblichter Mann”.

Die Absicht dahinter ist oft gar nicht bösartig. Vielmehr hat sich “schwul” über die Jahre hinweg zum Stempel eines Klischees entwickelt, das vorrangig homosexuelle Männer bezeichnet, deren Erscheinungsbild wir als weiblich einstufen würden. Ganz abgesehen davon, dass sich die beleidigende Variante von “schwul” im Grunde genommen derselben Aussage bedient. Damit ist sie in ihrem Kern nicht nur diskriminierend gegenüber Homosexuellen. Sie ist eigentlich auch frauenfeindlich.

Bei näherer Betrachtung ist Homophobie nämlich viel mehr als nur die Angst vor Homosexuellen—jemand, der einen Mann eine “Schwuchtel” schimpft, impliziert damit im Grunde genommen nichts anderes als eine Minderwertigkeit, die auf femininem Verhalten gründet. Ein Aspekt von Homophobie ist also auch die Abwertung von Weiblichkeit. (HIER WÄRE EIN BEWEIS/BELEG/ZITAT NOCH COOL)

Demnach ist bereits die umgangssprachliche Bezeichnung für Homosexualität unter Männern gewissermaßen weiblich konnotiert—dementsprechend schwierig ist es auch, irgendwie auf einen gemeinsam Nenner zu kommen, wenn man über schwule Männlichkeit redet. Dem Klischee-Code zufolge wäre das ja ein Widerspruch in sich.

Foto: masterdesigner | Flickr | CC BY-SA 2.0

Unser allgemeines Begriffsvermögen von klassischer “Männlichkeit” wird in der Regel als heterosexuell besetzt wahrgenommen. Schwarzenegger, Willis, Stallone, das sind Kerle, echte Männer. Männer, die einem Bild entsprechen, das wir als besonders “maskulin” wahrnehmen. Männer, die auf diesem Bild ganze Karrieren aufbauen konnten. Solche Männer mögen einiges sein—aber sie sind nicht gerade der Inbegriff einer Schwulen-Ikone. Die ist nämlich in der Regel weiblich (oder eben Elton John).

Für schwule Männer stellt die Frage nach Männlichkeit damit eine zusätzliche Herausforderung dar. Einerseits schneiden wir uns daran, weil klassisch maskuline Schablonen oft nicht so ganz auf uns passen. Andererseits fühlen wir uns aber nun mal zu Männern hingezogen—und damit auch zu Teilen dessen, was wir gesellschaftlich als Männlichkeit begreifen.

Und an irgendeinem Punkt fragt man sich dann, wie man selbst etwas sein kann, das man gleichzeitig begehrt. Und das kann dann wiederum dazu führen, dass ein schwuler Mann nach seinem Coming-out wieder in ein altbekanntes Muster zurückfällt: Schauspiel.

Broadly ist dem Phänomen der “Gay Icon” auf den Grund gegangen

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in meinen ersten Monaten als offen schwuler Mann umso mehr versucht habe, einem möglichst männlichen, heterosexuellen Rollenbild zu entsprechen. Quasi um damit meine Homosexualität “auszugleichen”—aus Angst, ein zu stereotyp schwules Auftreten könnte meine Mitmenschen “zusätzlich” abschrecken. Weil wir eben immer noch in einer Gesellschaft leben, in der ein schwuler Mann eher dann toleriert wird, wenn er heterosexuellen Normen entspricht—oder sich diesen beugt.

Neil Patrick Harris ist einer der bekanntesten offen schwul lebenden Promis; außerhalb der LGBTIQ-Community wahrscheinlich sogar der bekannteste. Das mag einerseits an der immer noch riesigen Fanbase von How I Met Your Mother liegen. Andererseits drängt sich da auch schnell der Gedanke auf, die breite Masse würde einen homosexuellen Schauspieler vielleicht nur unterstützen, solange er dabei ein heteronormatives Männerbild porträtiert—zumindest in den Rollen, für die man ihn kennt. Barney Stinson ist immerhin so etwas wie der Ur-Bro.

“Ich habe kein Problem mit Schwulen, solange sie es mir nicht unter die Nase reiben”, lautet ein gern vorgebrachter Satz von Leuten, die damit vorzugsweise ihre heteronormative Art rechtfertigen, während sie tolerant zu klingen versuchen. Mir selbst wurde früher oft (hauptsächlich von Hetero-Männern) entgegengebracht, wie sehr sie es schätzen würden; weil man mir eben “nicht sofort ansehen” würde, dass ich schwul bin. Damals hat sich das wie ein Kompliment angefühlt. Heute ärgere ich mich darüber, jemals so empfunden zu haben.

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Es scheint dieses allgemeine Verständnis zu geben, Heterosexualität—oder genauer gesagt ein möglichst maskulines Auftreten, das auf Heterosexualität schließen lässt—gehe mit einer Art Überlegenheit einher. Je eher du als Hetero durchgehst, desto männlicher und überlegener bist du auch.

Am einfachsten vergessen wir dabei, dass es eben auch schwule Männer gibt, die sich gar nicht erst verstellen müssen, um einer vermeintlich “männlichen” Norm zu entsprechen. Ihre Erfahrung ist eine völlig andere als die von schwulen Männern, die vielleicht schon als Kind einem feminineren Rollenbild entsprechen. Zwar haben sie den Luxus, weniger oft (oder gar nicht) angefeindet zu werden und können im Gegensatz zu manch anderen dadurch auch den Zeitpunkt ihres Coming-outs frei wählen. Es fehlt ihnen aber auch an Identifikationsfiguren.

The Butch Factor bietet schwulen Männern eine Bühne, die innerhalb der Gay Community oft nur wenig Sichtbarkeit erfahren. Die Doku begleitet schwule Polizisten, Fußballer, Cowboys, Musiker—Männer, die oft auf den ersten Blick nicht für schwul gehalten werden. Nicht mal von sich selbst.

Es heißt, das innere Coming-out—das Eingeständnis der eigenen Sexualität an sich selbst—sei der wichtigste Schritt des queeren Erwachsenwerdens. Für die Männer in The Butch Factor war er gleichzeitig der schwierigste—weil sie sich in keinem gängigen Schwulen-Klischee wiedererkannten.

Sie reden über anfängliche Zweifel an ihrem Schwulsein, weil sie nun mal nichts mit Popkultur oder Mode anfangen konnten und nicht so aussahen wie die Typen auf den Paradewägen. Sie sprechen von Einsamkeit, und darüber, wie sie sich nach ihrem Coming-out innerhalb der Community als Außenseiter fühlten, obwohl sie von der der breiten Masse generell Zuspruch erfuhren.

Dass aber auch schwule Männlichkeit sich im Umschwung befindet, sieht man anhand von Beispielen wie Frank Ocean, Troye Sivan, Conchita Wurst, die gefühlte Hälfte aller YouTuber und eigentlich das ganze Internet. Laut einer diesjährigen Studie der J. Walter Thompson Innovation Group identifizieren sich nur mehr 48 Prozent der amerikanischen 13- bis 20-Jährigen als klar heterosexuell. Die Jugend von heute (ha!) ist also deutlich queerer und deutlich aufgeschlossener gegenüber Sexualität und Geschlechterrollen als je zuvor.

Angenommen, wir reißen die ohnehin schon bröckelnde Männlichkeit ein und besetzen sie neu. Mit Mut, der nicht darauf basiert, auf den höchsten Berg zu klettern oder den wildesten Löwen zu besiegen, sondern darauf, Gefühle zuzulassen, obwohl sie keiner sexuellen Ausrichtung und keinem Geschlecht zuzuordnen sind. Jene schwulen Männer, die keine maskuline Schablone ausfüllen, könnten die Rollenbilder für eine neue Generation sein. Denn sie sind mutig. Und das ist männlich. (BITTE DEN ABSATZ NOCH MAL GENAU ANSCHAUEN, OB MAN DAS MIT DEN ROLLENVORBILDERN WIRKLICH CHECKT!)

Franz auf Twitter: @FranzLicht


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