Fragen, die die Foto-Lovestory der Wiener SPÖ aufwirft

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Wahlkampf ist ja bekanntlich die Zeit, in der Parteien ihre Wähler mit Nachdruck an Dinge erinnern, die sie nach der Wahl gefälligst wieder vergessen sollen. Zum Beispiel an Missstände, die man solange anprangert, wie man selbst nicht in der Regierung sitzt (oder daran, dass jeder Mensch ganz dringend sehr viele Kulis und Feuerzeuge braucht).

Im Fall der Wiener SPÖ ist das anders, weil die selbsternannte Arbeiterpartei während der gesamten Zweiten Republik noch nie NICHT den Bürgermeister gestellt hat. Und weil es sich als Boss schwer über den Chef schimpft, hat sich die SPÖ für den Auftakt zum Wienwahlkampf zur Abwechslung einen anderen Zugang überlegt. Nämlich eine positive, lebensbejahende Wahlkampfgeschichte im Gewand einer Foto-Lovestory als bezahlte Anzeige im aktuellen Biber, von der wir uns im Sinne der SPÖ nur wünschen können, dass die Wähler beim Vergessen diesmal besonders schnell und gnädig sind.

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Warum die SPÖ ausgerechnet das Format Foto-Lovestory gewählt hat (neben dem Stummfilm wahrscheinlich die einzige Erzählform, die jemals wieder ausgestorben ist), weiß ich auch nicht—und das ist noch nicht mal die verwirrendste Frage an dem Ganzen. Ich unterstelle mal, dass hier mehr Spritzwein als Spin-Doctoring im Spiel war.

Warum glaubt die SPÖ, wir wüssten nicht, wie man Comics liest?

Auch in Österreich weiß inzwischen so gut wie jeder Mensch, dass man Comics und andere artverwandte Bildgeschichten im westlichen Raum von oben nach unten und von links nach rechts liest. OK, ja, vielleicht gibt es vereinzelt auch noch Menschen, für die Comics genau so ein Mysterium sind wie Hieroglyphen, WLAN oder E-Zigaretten. Aber selbst wenn, sind diese Menschen inzwischen älter als die Wehrmacht, in absoluten Zahlen zirka zu zehnt und mit ziemlicher Sicherheit nicht die Zielgruppe, an die sich die Wienwahl-Lovestory im Biber richtet. Dass die Wiener SPÖ im Jahr 2015 glaubt, uns mit Pfeilen erklären zu müssen, in welcher Reihenfolge wir die einzelnen Panele lesen sollen, sagt weniger über die Intelligenz der Leser als über das Vertrauen der SPÖ in selbige aus.

Warum sitzt dieser Typ alleine auf dem Asphalt?

Wir alle kennen diesen Typen. Er hört Metal, hat aber auch noch ein paar Trance-Tracks in seiner Winamp-Playliste, hält Ren and Stimpy immer noch für die Krone der Cartoon-Kunst und hat eine gigantische Horrorfilm-Sammlung auf VHS. Außerdem verlässt die Wohnung nur, um 5 Minuten vor Ladenschluss Fertigbaguettes einzukaufen oder in die eine Bar zu pilgern, wo er den Besitzer kennt und im Hinterhof Magic-Turniere abgehalten werden. Es ist also ziemlich unplausibel, dass sich ausgerechnet dieser Typ exponiert mitten im Gemeindebau auf den Boden setzen und demonstrativ (und alleine) seine zwei Dosenbiere trinken soll.

Wo ist dieses „Unten”?

Auf Emirs Beschwerde wegen der fünf Minuten Wartezeit („echt jetzt?”), antwortet Darmina, „unten” könne er froh sein, wenn der Bus überhaupt komme. Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Müssen wir raten, woher Emir und offenbar auch Darmina kommen? Ist es nötig, auf dem Migrationshintergrund der Protagonisten herumzureiten, anstatt es bei der Andeutung zu belassen? Sollte die Wiener SPÖ wirklich die Stadtpartei sein, die auf jede Beschwerde mit einer Mutation des Strache-Sagers „Wem’s nicht passt, der kann nachhause gehen” antwortet? Wird alles dadurch wieder gut, dass „unten” in Anführungszeichen steht? Und ist eigentlich irgendwem außer der FPÖ damit geholfen, mit diesem ominösen „Unten” einen Gemeinplatz des unpünktlichen, unzivilisierten, unspezifizierten Südostens zu schaffen? Die Antwort, auf alle diese Fragen, ist: Nein.

Ich habe übrigens versucht, „Unten” anhand der Verbreitung der beiden Namen Emir und Darmina auf der Landkarte zu lokalisieren—mit dem Ergebnis, dass die beiden mit hoher Wahrscheinlichkeit (gesetzt den Fall, sie stammen aus demselben Land, was die Dialoge nahelegen) entweder aus den USA oder aus Russland stammen. Beides ist, genau genommen, eher nicht unten.

Was macht Häupl da?

Viel lässt sich ja über die Hintergründe und einzelnen Motive nicht sagen, wenn man die Lovestory werksimmanent interpretiert, aber ich versuche mir die Situation einfach mal praktisch vorzustellen. Michael Häupl geht nach einer gemütlichen 68-Stunden-Woche am Mittwochvormittag über den Rathausplatz.

Er denkt seine üblichen Bürgermeistergedanken und stellt sich vielleicht vor, dass jeder Regentropfen, der auf seinem roten Schirm abprallt, ein ehemaliger Bürgermeisterkandidat ist. Dann erspäht sein glasiges Auge eine junge, in parteinahem Blass-Rosé gekleidete Dame. Er stampft behände zu ihr hinüber und bietet ihr—in bester österreichischer Protektoratsmanier—Schutz unter seinem Parteischirm an. Dann stehen die beiden so da. Er fragt „Und?”, sie antwortet „Weiß ich jetzt auch nicht.” Die folgenden zwei Stunden vergehen wie im Flug.

Ist Emir der Darth Vader der SPÖler?

Eigentlich lässt sich die Handlung der gesamten „Lovestory” darauf reduzieren, dass Darmina hartnäckig versucht, ihren Emir zu einem besseren Menschen zu machen. Abseits von der fast schon volkstümlichen Rollenverteilung sollte ihr (genau wie mir) spätestens nach eineinhalb lobotomisierenden Seiten klar sein, dass ihr nobles aufklärerisches Projekt gescheitert ist. Zu diesem Zeitpunkt hat Emir über harmlose Biertrinker gelästert, sich über lächerliche Buswartezeiten beschwert, Darmina trotz ihrer fototauglichsten Badepose ignoriert (oder anderen Frauen hinterher gespechtelt) und sie zum dramaturgischen Arschloch-Finale auch noch im Regen stehen lassen.

Damit ist Emir die Antithese des sozialen Wieners. Zumindest für die SPÖ, die sich Emir ausgedacht hat—und es sagt einiges aus, wie man sich seine Feinde vorstellt. Er ist der Ignorant von der Gegenpartei, der nicht auf Argumente hört—oder, im Wahlkampf-Sprech, der potenzielle Wechselwähler, der am Ende nur mit Personenkult umgestimmt werden kann. Am Ende wirkt die Geschichte fast wie eine Wahlkampf-Guideline gegenüber den Darth Vaders unter den Wählern: Versuch es mit Argumenten und wenn alles nichts mehr hilft, beeindrucke die Leute mit dem Imperator („Der Häupl hat halt a G’spühr für Wien”).

Träumt Michael Häupl das Ganze nur?

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Es gibt aber noch eine andere Lesart, wie man die Wahlkampf-Lovestory verstehen kann: Das alles könnte ein fiebriger Wunschtraum sein, der komplett in Häupls Kopf passiert. Zugegeben, für diese Deutung gibt es in den Bildern jetzt keinen konkreten Anlass—aber wenn wir die Prämisse einfach mal akzeptieren, ergibt plötzlich alles andere auf magische Art unglaublich viel Sinn: Darminas Schwärmen für Wien, Emirs ungute Art, die es zwischen den beiden kriseln lässt, der romantische Schirmmoment und am Ende sogar der Überzeugungssieg beim Feind. Sicher, das klingt ein bisschen nach Inception, aber irgendwie fällt es mir leichter, mir vorzustellen, dass diese Geschichte aus dem REM-Schlaf des Dicken als aus der Werbeagentur der SPÖ stammt. Häupl in Wienception, quasi.

Markus auf Twitter: @wurstzombie