Was bei einer Razzia passiert
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Polizeiarbeit

Was bei einer Razzia passiert

Drogenrazzia, Terrorrazzia, Großrazzia. Hört sich nach Krawall und Remmidemmi an. Aber ist es das auch?

Vorwarnung! Es wird ein bisschen kompliziert. Die eine, allumfassende, restlos befriedigende Überantwort gibt es nicht. Herausgefunden haben wir trotzdem einiges.

Was Razzia bedeutet, ist Auslegungssache. Kommt darauf an, wer darüber spricht. Das BKA? Nutzt den Begriff intern angeblich nicht. Die Presse? Schmeißt damit um sich. Kriminologen? Haben keinen Plan. Und die Polizei? Die hat ein bundesweit gültiges Gesetz für Durchsuchungen und operiert auf dieser Grundlage. Zusätzlich gibt es allerdings noch bundeslandspezifische Polizeigesetze. Zu "Razzia" steht da auch nichts, da es kein juristischer, sondern ein umgangssprachlicher Begriff ist. Eine offizielle Definition fehlt.

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Na gut. Dann versuchen wir uns mal mit unserem Alltagsverständnis. Razzia = Irgendwas mit viel Polizei, mit Gefahr, mit Beweismitteln und mit Bumbum. Und Bumbum kommt nicht von ungefähr: Das Wort Razzia stammt aus dem Arabischen und heißt Kriegszug, Raubzug, Angriffsschlacht. Umgangssprachlich ist es der Begriff für eine geplante, großangelegte und – Knackpunkt – überraschende Polizeiaktion.

Und eben weil Überraschungen immer was mit Geheimnis zu tun haben, halten alle dicht – vor und während einer Razzia und auch wenn es darum geht, darüber zu reden.

Zum aktuellen Anlass: Vorgestern gab es eine Anti-Terror-Razzia in Hessen. 54 Wohnungen, Geschäftsräume und Moscheen wurden zeitgleich in Frankfurt, Offenbach, Darmstadt und Wiesbaden durchsucht. Im Visier: 16 Personen zwischen 16 und 46 Jahren. Im Einsatz: rund 1.100 Beamte. Das Ergebnis: eine Festnahme.

Zum genauen Ablauf der gestrigen Razzia will das LKA Hessen – Überraschung – nichts weiter sagen. Es sei nicht im Interesse der Behörde, Interna in den Medien nachzulesen, sagt ein Sprecher. OK, dann müssen wir halt jemand anders fragen.


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"Razzia ist ein Begriff, den nur die Presse nutzt. Wir sprechen von Überprüfungs- oder Kontrollmaßnahmen", erklärt eine BKA-Sprecherin. Zum Formellen sagt sie: "Jede Kontrolle oder Durchsuchung erfordert einen Durchsuchungsbefehl, der von der Staatsanwaltschaft genehmigt werden muss." Ermächtigungsgrundlage heißt das im Offiziell-Sprech. Und sie ergänzt: "Jede Untersuchungsmaßnahme ist ein Einzelfall. Insofern kann man nicht pauschal sagen, wie die abläuft. Das ist jedes mal anders."

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Ist ja irgendwie auch logisch: Eine Razzia bei VW wegen des Abgasskandals dürfte andere Vorbereitungen und Maßnahmen benötigen als eine bundesweit angelegte Aktion gegen Rechtsextreme. Und was haben Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, Netzmillionär Kim "Dotcom" Schmitz und die Hells Angels gemeinsam? Genau: Alle haben sie Razzien hinter sich. Und das bei doch sehr unterschiedlichen Strichen auf dem Kerbholz. Der Post-Chef Zumwinkel hatte rund eine Million an Steuern hinterzogen. Bemerkenswert bei der Zumwinkel-Razzia: Es gab ein Leck, die Medien wussten Bescheid, und standen pünktlich zur Durchsuchung auf der Matte, fotografierten und filmten, wie die Akten rausgetragen wurden. Nix mit Überraschungseffekt.

Aber wie teuer ist eine Razzia? Da winkt das BKA ab: "Das wird Ihnen niemand sagen können. Sicherheit hat schließlich nichts mit Geld zu tun. Es wird jede Ressource verwendet, die gerade notwendig und verfügbar ist."

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin nutzt den Begriff Razzia übrigens auch nicht. Stattdessen spricht sie von "Durchsuchungen". Ein Sprecher erklärt: "Wir müssen uns da natürlich auch an Regeln halten, willkürlich passiert nichts." Wenn eine Razzia in Privatwohnungen stattfindet, gelten Extraregeln: "Die Polizei darf nicht in der Nacht in eine Wohnung eindringen. Außerdem muss immer ein Zeuge dabei sein", erklärt die Staatsanwaltschaft. Und, werden Beweise dann einfach mitgenommen und beschlagnahmt? "Das geht nur, wenn die Beamten einen richterlichen Durchsuchungsbescheid haben", so der Sprecher.

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Kommen wir nun zur wichtigsten Frage: Wen kann's treffen?

Jeden. Theoretisch auch dich. Nicht nur Verdächtige geraten ins Visier, auch Angehörige, Anwohner oder Bekannte. Denn: Eine Razzia ist immer präventiv, die Polizei will Beweise finden, BEVOR der Täter eine Straftat begeht.

Wie, was, wo, wann und wie effizient – darüber hat keiner mit uns gesprochen. Selbst Kriminologen und Polizeiwissenschaftler wollen – und können (!) – nichts dazu sagen, wie ein Wissenschaftler einräumt: Es handele sich um "polizeiinternes Monopolwissen". Für Externe da ranzukommen? Fast unmöglich. "Als Forscher bin ich so schlau wie jeder andere auf der Straße und muss mir das irgendwie zusammenreimen", sagt der Wissenschaftler, der lieber incognito bleiben möchte.

Na dann sind wir ja beruhigt. Oder eben nicht.

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