Eine Illustration zeigt eine Person, die zusammengekrümmt im Bett liegt und von vier bedrohlich wirkenden Skelettarmen berührt wird; vielleicht hat sie gerade eine Nachtangst-Attacke, eine Expertin hat uns erklärt, was es damit auf sich hat
Illustration: Alina Najlis
Menschen

Nachtangst ist wie ein Albtraum, nur schlimmer

Wir haben mit einer Expertin gesprochen, die sagt, dass Nachtangst und nächtliche Panikattacken auf dem Vormarsch seien. Man kann sich jedoch schützen.

Vielleicht hast du es schon mal mitbekommen, wie deine Partnerin, dein Mitbewohner oder ein Kind plötzlich schreiend und mit bleichem Gesicht aufwacht und so aussieht, als wäre er oder sie gerade einem besonders fürchterlichen Dämon begegnet. In der Wissenschaft wird das Ganze als Nachtschreck oder Nachtangst bezeichnet. 

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Wie der Name schon vermuten lässt, kann einen die Nachtangst ordentlich mitnehmen. Dabei kommt diese Form der Schlafstörung vor allem bei Kindern zwischen vier und zwölf Jahren vor, sie kann aber auch bei Erwachsenen auftreten. Im Laufe der Pandemie ist Neurologen aufgefallen, dass es zu mehr Fällen von Schlafstörungen wie Schlaflosigkeit und Nachtangst gekommen ist – sowohl bei den Menschen, die an Corona erkrankt waren, als auch bei der allgemeinen Bevölkerung.

Mirta Averbuch leitet die schlafmedizinische Abteilung des neurowissenschaftlichen Instituts der Favaloro-Foundation-Uniklinik in Buenos Aires. Sie erklärt uns, was während der Nachtangst in unserem Kopf passiert und warum das Phänomen in letzter Zeit häufiger auftritt.


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VICE: Was genau ist Nachtangst?
Mirta Averbuch:
Es gibt eine Gruppe der Schlafstörungen, die wir Parasomnie nennen. Darunter fallen zum Beispiel Schlafwandeln, Bettnässen oder eben Nachtangst. Sie alle treten in der Tiefschlafphase auf, also normalerweise in den ersten drei Stunden nach dem Einschlafen.

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Was ist der Unterschied zwischen Nachtangst und einem Albtraum?
Im Normalfall träumen wir pro Nacht drei- oder viermal. Albträume treten während des REM-Schlafs auf, es handelt sich dabei um Träume mit einer katastrophalen Handlung, die eng mit den Erinnerungen der schlafenden Person zusammenhängt. Im Allgemeinen erinnert man sich zumindest unterbewusst auch an das, was man während eines Albtraums geträumt hat. Das ist bei Nachtangst nicht der Fall, die betroffene Person erinnert sich an gar nichts. Selbst wenn sie mit offenen Augen aufrecht im Bett sitzt und schreit, ist sie immer noch im Tiefschlaf. Zwar wirkt das Ganze sehr besorgniserregend, aber am nächsten Tag hat man keine Erinnerung mehr daran.

Was sollte man am besten tun, wenn jemand Nachtangst hat?
Wenn es bei einem Kind passiert, kann man eigentlich nicht mehr tun, als an dessen Seite zu bleiben und zu versuchen, es zu beruhigen. Man sollte es besser nicht aufwecken, denn man kann nie genau sagen, wie es dann reagiert – im schlimmsten Fall schlägt es wild um sich. Stattdessen reichen eine Umarmung und eine sanfte Rückenmassage. Das Ganze dauert ja auch nur wenige Sekunden. Was auch hilft: das Licht anmachen. So kann die betroffene Person beim Aufwachen direkt alles deutlich sehen und ist nicht erstmal verwirrt und orientierungslos. 

Das Wichtigste ist auf jeden Fall, immer die Ruhe zu bewahren. Nachtangst ist an sich nicht gefährlich. Es ist ebenfalls wichtig, immer genug zu schlafen. Solche Schübe können nämlich auch durch fehlenden Schlaf verursacht werden. Erwachsene sollten pro Nacht sieben bis acht Stunden schlafen. 

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Warum sind Kinder öfter von Nachtangst betroffen als Erwachsene?
Das ist bei allen Formen der Parasomnie so und liegt daran, dass sich die Gehirne der Kinder noch entwickeln. Dazu kommen erbliche Faktoren: Wenn schon die Eltern häufig an Nachtangst litten oder schlafgewandelt sind, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass das Gleiche auch bei den Kindern auftritt. 

Ich frage mich immer, was diese Kinder sehen, was wir nicht sehen können, wenn ihre Augen weit geöffnet sind und ihr Gesichtsausdruck von pure Angst gezeichnet ist. Das konnte nämlich noch nicht beantwortet werden.

Es gibt einige Dinge, die solche Störungen auslösen können – etwa Stress, fehlender Schlaf oder Fieber. Was wir aber heute nach über einem Jahr Pandemie und Isolation beobachten können: Es kommt häufiger zu Panikattacken. Sie können tagsüber oder nachts auftreten. Wenn es nachts passiert, kann es sich ähnlich wie Nachtangst anfühlen, aber bei einer Panikattacke wacht die betroffene Person auf und verspürt unter Umständen Herzrasen und Kurzatmigkeit.

Es gibt also einen Unterschied zwischen Nachtangst und einer nächtlichen Panikattacke?
Ja. Panikattacken lassen die betroffenen Personen aufwachen und denken, dass sie gleich sterben. Sie erkennen, was gerade mit ihnen passiert, und atmen im besten Fall tief durch, trinken Wasser und versuchen, sich zu beruhigen. Das alles sehen wir gerade häufiger bei Erwachsenen.

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Was kann man tun, um Nachtangst vorzubeugen?
Bei Erwachsenen kann ich nur raten, besser zu schlafen. Da hilft es, vor dem Zubettgehen nicht zu viel Alkohol zu trinken und bei den regelmäßigen Mahlzeiten nicht übermäßig viel zu essen. Wer unter Panikattacken leidet, sollte Atem- und Entspannungsübungen ausprobieren. Wenn diese Panikattacken mindestens dreimal pro Woche auftreten, sollte man aber ärztliche Hilfe aufsuchen, bevor man irgendwelche Medikamente nimmt. Das ist nämlich ein weiteres Problem, das uns derzeit beschäftigt: Immer mehr Menschen nehmen nicht verschriebene Medikamente gegen Angstzustände.

Besteht die Möglichkeit, dass man während oder nach einer Nachtangst-Attacke jemanden verletzt?
Im Allgemeinen nicht. Die betroffene Person schläft ja und kann dementsprechend kaum etwas machen. Viele Leute haben nur kurze Nachtangst-Attacken, die lediglich wenige Sekunden andauern, und schlafen danach einfach weiter. Es kann allerdings passieren, dass eine Person mit Nachtangst auch schlafwandelt.

Aber auch hier kann man Vorsichtsmaßnahmen treffen. Hochbetten sind zum Beispiel tabu, denn da könnte man rausfallen. Außerdem sollte man vor dem Schlafen alle Gegenstände wegpacken, mit denen man irgendwie Schaden anrichten könnte. Dazu empfiehlt sich, Türen abzusperren, Fenster ordentlich zu schließen und alle Dinge aufzuräumen, über die man stolpern könnte. Am wichtigsten ist aber auch hier, Ruhe zu bewahren.

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