Ich war mit einem Pädophilen zusammen
Illustration by Grace Wilson

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Ich war mit einem Pädophilen zusammen

Rebellische Teenager tun einiges, um ihre Eltern auf die Palme zu bringen. Als ich mich in einem Onlineforum anmeldete, konnte ich allerdings nicht ahnen, wie ein abgewrackter Musiker mein Leben für immer verändern würde.

Wir waren beide 15, meine Freundin und ich. Wir waren leicht angetrunken, leicht high und lehnten Rücken an Rücken auf einer schwach beleuchteten Parkbank. Ich hatte ihr soeben meinen Freund vorgestellt und wartete nun ungeduldig auf ihre Meinung.

„Er sieht nicht aus wie Brad Pitt, aber er ist in Ordnung", sagte sie schließlich und ich wusste, dass ihr Urteil damit noch ziemlich wohlwollend ausfiel.

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Mein Freund war ein hagerer Mann mit schiefer Nase und Pferdeschwanz. Er war 29 Jahre alt.

Ich hatte ihn online getroffen und zwar an dem Tag, als ich beschloss, mein allererstes Foto in einem neuen Online-Forum hochzuladen. Das Foto habe ich von oben aufgenommen, um dünner auszusehen, als ich in Wirklichkeit war. Schon bald darauf bekam ich eine Nachricht. Er meinte, ich sähe aus wie die attraktive uneheliche Tochter von Robert Plant und mit einem Schlag hatte ich hormonbeladene Schmetterlinge im Bauch. Eine Woche später—nachdem wir Stunden über Stunden im MSN-Chat verbracht hatten—trafen wir uns im wirklichen Leben. Er war kleiner, als ich erwartet hatte und seine Haare rochen nach feuchtem Keller, aber er machte mir Komplimente zu meinen Haaren. Und meinem Hintern. Wir knutschten ein bisschen rum und schon waren wir ein Paar.

In einem seiner Songs kam sogar mein Name vor und obwohl er Ana auf Banana reimte, fühlte ich mich wie Yoko Ono.

Er teilte seine schlecht gedrehten, speicheldurchtränkten Joints und sein Dosenbier mit mir. Zudem spielte er in einer Band aus echten Kleinstadtberühmtheiten. In einem seiner Songs kam sogar mein Name vor und obwohl er Ana auf Banana reimte, fühlte ich mich wie Yoko Ono.

Ich dachte darüber nach, meine Jungfräulichkeit an ihn zu verlieren, aber irgendwie fühlte ich mich nicht wohl bei dem Gedanken. Deswegen fand ich immer wieder Ausreden, um es nicht zu tun. Jedes Mal, wenn wir uns küssten, hatte ich dieses Gefühl—ein Gefühl, das wohl jeder wütende und von Existenzängsten gequälte Teenager kennt—, damit gegen meine Eltern aufzubegehren und sie gewissermaßen auch zu bestrafen. Trotzdem fühlte es sich falsch an, aber nicht die gute Art von falsch, wie wenn man heimlich eine Schachtel Zigaretten hinter der Schule raucht. Ich hatte die Grenzen von cooler Aufsässigkeit überschritten und stand bereits mit einem Fuß dort, wo es gefährlich wurde.

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„Ich steh nicht auf Mädchen, die älter als 19 sind, aber mach dir keine Sorgen: Wir haben alle Zeit der Welt", zog er mich eines Tages auf, weil ich zurückwich, als er mich berühren wollte. In dem Moment wusste ich, dass ich weg wollte.

Ich erzählte einer älteren Freundin von ihm und meinte, dass ich Schluss machen wolle. Ich bat sie um ihre Hilfe, weil ich dachte, dass ich es allein nicht schaffen würde. Sie hat vergeblich versucht, ihr Entsetzen zu verbergen. Ich verabredete mich mit ihm und schickte sie stattdessen hin. Sie sagte ihm, dass er mich nicht mehr anrufen sollte und drohte ihm damit, meinen Eltern davon zu erzählen. Er entgegnete, dass sie sich keine Sorgen machen solle und dass seine Gefühle mir gegenüber „rein väterlich" seien.

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Als ich sie danach traf, umarmte sie mich lange. Wenig später schrieb er mir und beschimpfte mich als hinterhältige Schlampe. Ich antwortete ihm: „Danke, Paps."

Ich habe ihn seither nur ein einziges Mal wiedergesehen, als ich ihm ein paar Jahre später auf der Straße begegnet bin. Er wich meinem Blick aus, während er mit einem Mädchen Händchen hielt, das im besten Fall so alt war wie ich.

Ich komme aus einer Gegend, wo erwachsene Männer kleine Mädchen von der Schule abholen und sie eigenhändig großziehen, um sie zu ihren Trophäenfrauen zu machen, wo Brautentführungen noch immer Gang und Gebe sind und wo die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens ein Eingriff ist, der genauso oft vorgenommen wird wie Zahnfüllungen. Meine Geschichte wirkt daher wahrscheinlich relativ unspektakulär. Das ist zwar kein Grund zu jubeln, aber es ist Alltag in Georgien—ein ganz alltägliches Risiko für junge Frauen. Wenn man bedenkt, dass Jungfräulichkeit für die Generation meiner Eltern noch immer den größten Wert für eine Frau im heiratsfähigen Alter darstellt, könnte man sagen, dass ich noch glimpflich davon gekommen bin. Wenigsten hat er nicht mit mir geschlafen, richtig?

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Auch zehn Jahr später fühle ich mich noch immer verantwortlich für das, was passiert ist. Wenn ich zurückblicke, kann ich immer noch nicht verstehen, warum ich mit ihm zusammen sein wollte. Die Entscheidung habe ich allerdings selbst getroffen. Er hat mich zu nichts gezwungen. Alles, was er getan hat, war, mir zu sagen, wie hübsch ich bin—in einem Moment, als ich mich selbst nicht so gefühlt habe. Er hat immer wieder betont, wie sehr er „prüde Schlampen" hasste und ermutigte mich dazu, ihm zu beweisen, dass ich keine von ihnen war. Es war meine Entscheidung, mit ihm rumzumachen, ihm zu schreiben, welche Farbe meine Unterwäsche hatte, während ich in der Schule saß und ihm zu erzählen, wenn ich masturbiert habe. Ich hätte Nein sagen können. Ich hätte mit ihm Schluss machen können. Aber ich war eben auch ein rebellischer Teenager, der es nicht besser wusste.

Es gibt einige Orte in der Stadt—düstere, nach Pisse stinkende Parkanlagen—, wo er mich geküsst und berührt hat und mir sagte, dass er mit mir weglaufen wolle. Wenn ich heute an diesen Orten vorbeifahre, läuft mir immer noch ein Schauer über den Rücken, ohne genau zu wissen, warum. In Momenten, in denen ich mich daran erinnere, wie sich seine kalte, klebrige Hand unter meinem T-Shirt anfühlte, kommt die Angst wieder hoch. Ich versuche mir dann einzureden, dass wir immerhin keinen Sex hatten und er nicht bekommen hat, was er am meisten wollte: meine sogenannte Unschuld. Ich sage mir selbst immer wieder, dass ich gewonnen habe.

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Eines Tages erzählte mein Freund von einem Fußballspieler, der zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, weil er Sex mit einer Minderjährigen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wer er war und googelte „englischer Fußballer Teenager Sex", um herauszufinden, wie er hieß. Als ich die Geschichte las, kamen plötzlich mehrere Jahrzehnte alte Gefühle in mir hoch—unter all den Geschichten über die Sexualdelikte berühmter Männer war mir diese eine nur zu gut bekannt. Die Geschichte klang genau wie meine. Vor allem der Teil mit den Nachrichten, dem Altersunterschied und der Bekanntheit (die Nemesis meiner Jugend war schließlich in einer Band gewesen) drehten mir den Magen um. Ich brach das Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte und fing auf der Arbeit an zu weinen.

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Dabei waren es nicht unbedingt die Parallelen zu meiner Geschichte, die das Ganze so schmerzhaft machten, sondern die Unterschiede. Im Gegensatz zu dem Fußballer Adam Johnson wurde mein Peiniger niemals bestraft. Seine Kollegen wandten sich nicht von ihm ab. Niemand wollte sich wegen dem, was er mir angetan hatte, ein Tattoo entfernen lassen und er war auch nicht überall in den Nachrichten. Er stand noch nicht einmal vor Gericht. Er blieb einfach ein normaler Durchschnittstyp, der ab und an einer alten Frau über die Straße hilft und junge Mädchen davon zu überzeugen versucht, Sex mit ihm zu haben.

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Außerdem ist meine Geschichte nichts besonderes. Er ist weder der erste noch der letzte erwachsene Mann, der ungestraft davon kommt, obwohl er mit Kindern „ausgeht". Er ist nur einer von vielen heimlichen Pädophilen, die unter uns leben und komplett unauffällig bleiben—es sei denn, einer von ihnen ist ungewöhnlich fahrlässig oder berühmt. Er und all die anderen werden auch weiterhin tagtäglich still und heimlich junge Mädchen missbrauchen, während uns die Gesellschaft weiter vorhält, dass wir lauter hätten Nein sagen sollen, dass wir ja auch älter aussehen, als wir tatsächlich sind und dass wir es doch auch irgendwie wollten—als würde das alles andere ungeschehen machen.

Ich hatte noch immer das Gefühl, als hätte er mich irgendwie in der Hand.

Ich bin noch immer nicht ganz sicher, gegen wen sich die nagende Wut, die in mir brodelt, richtet: Gegen mich selbst, weil ich nicht rechtzeitig etwas unternommen habe? Gegen meine Freunde, die mich einfach machen ließen? Gegen seine Freunde, die über all das Bescheid wussten beziehungsweise noch immer wissen? Oder gegen ihn, weil er einfach Abschaum ist? So sehr es mich auch schmerzt, das zuzugeben, aber: Manchmal kann ich mir vorstellen, dass ich auch ein bisschen wütend auf das Opfer von Adam Johnson bin. Das Mädchen, das mutig genug war, die Gerechtigkeit zu verlangen, die ich niemals bekommen werde.

Seine Gegenwart ist wie ein dicker, fetter Pickel: Ich weiß, dass ich nicht daran rumdrücken sollte, aber ich kann meine Finger einfach nicht weglassen. Wir haben Zehntausende gemeinsame Freunde auf Facebook. Mein Herz rast immer noch, wenn ich auf sein Profil klicke, doch meistens bin ich ziemlich erleichtert, wenn ich sehe, dass der Großteil seiner Statusmeldungen betrunken und ziemlich erbärmlich sind. Er sieht immer noch genauso aus wie früher, abgesehen davon, dass die kahle Stelle auf seinem Kopf mittlerweile fast doppelt so groß ist.

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Ich kann nicht ändern, was passiert ist und kann es auch nicht ungeschehen machen, dass er mich belästigt hat, aber ich kann endlich anfangen, die Dinge so zu sehen, wie sie eigentlich schon immer waren. Über die letzten zehn Jahre habe ich mich schuldig gefühlt und geschämt und hatte ich immer das Gefühl, als hätte er mich noch immer irgendwie in der Hand—als würde sein widerlicher Griff mich noch immer festhalten. Ich hatte das Gefühl, als gäbe es einen unsichtbaren, unausgesprochenen Pakt des Schweigens zwischen uns (Er sagt nichts, solange ich niemandem davon erzähle).

Der Fall mit dem Fußballer war nicht nur der Moment, in dem ich wieder über diese widerliche „Beziehung" nachdachte. Jemand anderen in dieser Situation zu sehen, hat mir geholfen, die Dinge in einem neuen, neutralen Licht zu sehen. Ich werde vielleicht nie Gerechtigkeit bekommen, aber ich weiß jetzt, dass diese Medaille definitiv keine zwei Seiten hat. Es gibt keine geteilte Schuld, kein tiefes, dunkles Geheimnis zwischen den beiden Parteien. Es gibt nur ein Verbrechen und ein Opfer, einen Täter und seine Beute. Und ich bin nichts mehr davon.