2Pac, Hähnchenfleisch und scharfe Soße: Eine Nacht an einem Berliner Kebap-Stand

FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

2Pac, Hähnchenfleisch und scharfe Soße: Eine Nacht an einem Berliner Kebap-Stand

Auf der Mauer, auf der Lauer: Wir hingen Samstagnacht an einem Knotenpunkt Berliner Treibens ab.

Die Idee war, dem großstädtischen Rauschen zu folgen, oder besser, sich hinzusetzen und darauf zu warten, dass es zu einem komme. Berlin, Samstagnacht, Kottbusser-Tor schien ideal. Ein Transitort, eine Lokalität musste noch her. Etwas, wo Menschen einfallen, wo sie auftanken, runterkommen, vielleicht auch wieder hochfahren und Kräfte bündeln, bevor sie wieder raus auf die Straßen und zurück zum nächtlichen Wahn gehen. Ein Kebapstand, groß und gediegen, am besten zu einer lokalen Institution gewachsen. So kam es dann auch. Kottiwood, Reichenberger Straße 175, 21:30 Uhr, wir nahmen Platz und hofften auf Geräusche großer Bewegungen.

Anzeige

„Wir", das waren Anna und ich, sie machte die Fotos, ich kam zum Auftakt mit Kuli und Block 20 Minuten zu spät. Die Schicht hatten Tolga und Yilmaz, sie wussten nicht, dass wir kommen und wer wir überhaupt waren. Verwirrung, der Chef hätte ihnen nichts gesagt, skeptische Blicke jagen einander, die Gäste hören mit ihren Gesprächen auf, um unseren zu folgen. Nach ein paar Minuten die Auflösung. Tolga und Yilmaz sind herzlich und tiefenentspannt, wir schlagen unser Lager in der Ecke mit dem Versprechen auf, niemanden bei der Arbeit zu stören—beim Essen vielleicht, geht leider nicht anders.

Die Gäste nahmen ihre Gespräche wieder auf, noch war kaum jemand da, Yilmaz beruhigte: „Die kommen alle noch. Keine Angst. Ab 01:00 Uhr geht's los." An einem der Tische saßen zwei Männer, einer von ihnen sah aus, als könnte er Schienen verbiegen; gerne hätte ich mit ihm gesprochen, wollte ihm aber nicht noch mehr auf den Sack gehen, als wir es mit unserem Auftritt ohnehin schon taten. Sein Gesicht verriet, dass er Ruhe sehr schätze—glaubte ich zumindest. Jedenfalls ließ ich vom Gedanken ab, ihn fotografieren zu wollen. Stattdessen erstmal der Weg zur Toilette, Kiez-Schellen als Desinfektionsmittel gegen Rassismus darin an Wänden.

Als ich zurückkam, hatte Anna schon losgelegt; ich weiß nicht, was ihr Geheimnis war, aber sie zielte mit der Kamera direkt auf den Mann mit den kräftigen Händen. Hatte sie überhaupt nach Erlaubnis gefragt? Anscheinend. Die Skepsis in seinem Blick wich einladenden Augen—sie drückte ab und traf genau den Moment, wo der eine Zustand den anderen abzulösen begann.

Anzeige

Später beim Weggehen lächelte er uns beiden noch zu, setzte seine Strickmütze auf und winkte zum Abschied. Ich war ein Idiot und so überrascht, dass ich vergaß, ihn nach seinem Namen zu fragen.

Ada Blitzkrieg war schon mal für uns bei Kottiwood: Unprätentiöse Imbisse – Mustafas Gemüse Kebap für Fortgeschrittene

Die Zeit war ein lausiger Stricher, nichts passierte, es war mittlerweile 22:30 Uhr und 2Pac mit „Ambitionz az a ridah" lief aus den Boxen. Dann 23 Uhr, allmählich wurde es voller, ein Junge und seine Uhr traten durch die Ladentür, wir fragten, ob wir ein Bild machen dürfen, er sprach kaum deutsch, sein Freund übersetzte. Beide sehr freundlich, wollten nach dem Essen in irgendeinem Laden Zerstreuung finden, glaubten aber selbst nicht daran.

Er bat mich, das Foto sehen zu dürfen. Klar, sagte ich und schlug ihm vor, mir seine E-Mail-Adresse zu geben. „Dann kann ich dir das Bild zuschicken samt Link zum fertigen Artikel. In ein paar Tagen etwa." Sein Freund übersetzte und erklärte, er habe keine Adresse und auch kein Facebook. Verlegenheit schlich sich ein, ich kam mir belanglos vor, wir dankten einander, ich ging zurück zu meinem Platz. Dort warteten Anna und ein Teller von Tolga und Yilmaz.

Dass beide herzliche Jungs waren, sagte ich schon. Am Tisch hinter uns saß auf einmal Philip. Noch Ruß an den Fingern kam er direkt von seiner Schicht auf der Go-Kart-Bahn. Macht er häufiger so, man könnte sagen, ein Ritual. Von der Prinzenstraße zum Kottiwood auf einen Feierabend-Halloumi: „Gehört zu den besten der Stadt."

Anzeige

Sie gaben sich fast die Klinke in ihre Hände. Philip ging, Markus und Jan kamen.

Es muss so gegen Mitternacht gewesen sein, Wolfbrigade hatte gerade im Cassiopeia fertig gespielt—oder vielleicht spielten sie noch, nur sind Markus und Jan schon früher ihre Wege gegangen. Der Sound und das Konzert hatten sie nicht wirklich vom Hocker gerissen, „aber das liegt nicht an der Band, sondern an uns. Daran, dass man übersättigt ist. Ich bin 27 und Jan 25. Wir machen das schon ein paar Jahre. 13 genau. Mit 14 Jahren habe ich mit Punk angefangen. Die Bands klingen live anders als auf Platte. Und auf Konzerten triffst du meistens dieselben Leute." Die Szene ist nicht so groß, wie man meinen könnte. Die Luft ist schnell oder eben nach 13 Jahren dann raus. Markus war redselig, Jan aus Münster bei ihm zu Besuch. Beide wollten sie Linus Volkmann grüßen. Na dann: Fühl' dich gegrüßt, Linus.

Dann war da noch David. Er kam gerade von zu Hause und hat mit seiner Mitbewohnerin einen Spice-Girls-Flashback-Abend verbracht. Sie ist Tänzerin und er Performance-Künstler. Ursprünglich wollte er Trickzeichner werden, hatte auch in diese Richtung studiert, dann aber das Feld gewechselt.

In Papier gefasste Linien waren zu wenig zum Ausdruck, der ganze Körper musste für ihn her. Selbst ein Schluck Mango-Lassie wurde bei David zur Kunstform.

Der Coca-Cola-Mann ist gar nichts dagegen und dann noch ein Knochenbau wie griechische Götter oder Clark Kent im Gesicht.

Anzeige

Schließlich wurde es nach 02:00 Uhr und der große Ansturm blieb immer noch aus. Tolga hatte sogar genug Zeit, sich für eine Weile zu uns zu setzen. „Ich weiß auch nicht, was los ist. Es könnte am Monatsende liegen. Die Leute haben kein Geld und essen lieber zu Hause." Tolga macht den Job schon seit 11 Jahren. Er hat eine Ehefrau und drei Kinder, aber die Gastro ist mehr als bloß Arbeit für ihn. Es ist kein Weg, um Essen und Windeln zu zahlen, es ist sein Traumjob: „Ich wollte das schon immer machen. Mein Bruder hat drei Läden in Frankfurt, da habe ich jung mitgeholfen. Mein Vater war Konditor. Ich habe dieses Talent, ich habe diese Hände bekommen." Nur manchmal schwellen sie an. Nach langen Schichten wie neulich—zwölf Stunden auf einer Messe Dönerfleisch schneiden. „Meine rechte Hand war taub. Ich schneide mit rechts, musst du wissen. Und es geht in den Rücken. Aber meine Frau hilft mir. Massieren tut gut." Am liebsten macht Tolga Nachtschichten. Dann kommt er am Morgen nach Hause, kann seiner Frau mit den Kindern helfen, fährt sie in den Kindergarten, macht Einkäufe, später legt er sich schlafen.

Es kommen tatsächlich noch Gäste und Tolga muss wieder aus Edelstahltöpfen die richtigen Kombinationen kreieren.

Mehrere Mädels treten hinein, wir stellen uns vor, sie wollen, dass wir ihnen Biere ausgeben. Gekicher, Pommes rot-weiß, verlorener Drehtabak und kaputte Fingernägel an den Händen.

Anzeige

03:00 Uhr, eine Stunde nur noch, dann werden die Türen geschlossen, genug ist genug. Behäbig werden die Augen, Konturen verschwimmen, was ist innen, was außen?

Anna und ich beginnen, unsere Sachen zu packen, Schlaf ist Gold, Tablette und Teller werden geparkt.

Und dann stehen noch diese Zwei an dem Tresen. Sie und er, ich kann nicht sagen, ob beide nur Freunde oder zusammen waren—ist auch egal. Er versucht, sie aufzuheitern, sie wirkten wie eins dieser Paare, bei denen man neidisch wird, wenn man selbst niemanden hat und sie zusammen sieht. Ein Team, komme, was wolle. Es stellt sich raus, dass sie Migräne hat und nur noch nach Hause will. Migräne und dann noch Fotos? Das ist doch Scheiße, wer hätte da Bock drauf. Das Essen ist schon gepackt, sie will gehen, er überzeugt sie doch, erste Versuche …

…dann aber:

Danke.
Sie gehen, unsere Sachen sind auch schon verstaut, Anna und ich machen rüber zum Tresen, zu Yilmaz und Tolga. Die Jungs entschuldigen sich noch, dass so wenig los war, ich sage: „Alles ist gut." Ich wusste selbst nicht, was wir erhofften, bin aber froh, dass es nicht eintrat. Es müssen nicht immer Lametta, Trompeten und Kotkatapulte sein. Die Nacht war ehrlich zu uns, wir gingen zufrieden.

Ihr könnt Paul auch auf Twitter folgen.