Euthanasie, Erlösung und Sozialismus aus Berlin

Es kann einen merkwürdigerweise ganz schön benommen machen, wenn man den ganzen Tag damit verbringt, Modeblogs zu durchforsten und Lookbook über Lookbook voller beschissener, nichtssagender Kleidung anzuschauen, die einem als bedeutungsvoll verkauft wird, weil der Designer dieses Mal ein großes Risiko eingegangen ist, indem „er entschieden hat, Seide statt Wolle zu verwenden”, oder irgendwas in die Richtung. Ich denke, das hat damit zu tun, dass die meisten Designer sich im Wesentlichen einfach bei anderen Designern bedienen. Wenn du also einmal ein Oxford Shirt gesehen hast, hast du sie im Prinzip alle gesehen. Stell dir meine Freude vor, als ich über Fotos einer Kollektion namens Apocalypse von dem Label Sadak gestolpert bin, die aussahen, als hätten stilbewusste Dämonen Stoffe durch die Parameter der Zeit katapultiert und damit im Gesicht tätowierte Models eingekleidet. Nur um es klarzustellen, ich war verdammt glücklich. Der Gründer und einzige Designer von Sadak ist Sasa Kovacevic, was zufälligerweise ein Name ist, den er mit einem serbischen Popstar und einem serbischen Fußballspieler teilt. Wenig überraschend ist, dass er auch aus Serbien kommt. Jetzt lebt er aber in Berlin.


Apocalypse SS11

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VICE: Du sagst, das Konzept von Sadak beruht auf „Tradition, Ethnographie, Anthropologie, Geschichte und Kleidung”. Was zum Teufel bedeutet das?
Sasa Kovacevic:
Also, alle meine Ideen haben einen kulturellen Hintergrund und meine Recherche für neue Kollektionen basiert auf Ethnographie- und Geschichtsbüchern. Das Spiel mit der Doppeldeutigkeit von Mustern, Formen und ästhetischen Bezügen, während ich die Wurzeln in einem konreten geschichtlichen, sozialen und traditionellen Kontext erhalte, definiert meine kreative Vorstellung.

Also, ich liebe die Klamotten, aber kannst du es für mich ein wenig einfacher zusammenfassen, bitte?
I’m A Good Socialist
war zum Beispiel mein Abschlussprojekt und ich habe mit Recherchen über Sozialismus im früheren Jugoslawien begonnen. Das, was ich dabei gelernt habe, habe ich dann an der Kreation meiner eigenen fiktionalen Mikro-Nation namens Ex-Land angewendet. Der Aufbau dieser „neuen Nation” wird komplett durch die Mode beschrieben. Die Gesetze des Ex-Lands werden durch Aussagen und „sozialistische” Symbole auf der Kleidung mitgeteilt.


Apocalypse SS11

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Wow, heftig. Gib mir noch ein paar Beispiele, das ist erstaunlich.
Hm, also, Lapot handelt von den mythischen kulturellen Traditionen, die auf der serbischen Tradition beruhen, bei der die alten Familienmitglieder getötet werden, wenn sie so alt werden, dass sie eine Belastung für ihre Familie darstellen. Alle in dem Haus, in dem es stattfinden wird—auch die Person, die sterben wird—tragen ihre beste Kleidung. Ich fühle, wie die Kollektion das alles verkörpert, während sie trotzdem mit glänzenden, strukturierten Stoffen, maßgeschneiderter Ausführung, etc. eine trendbewusste Annäherung ermöglicht.

Das klingt überwältigend und lustig zugleich. Was noch?
Klephtis
beruht auf der Geschichte von kleptomanischen Rebellen. Die Klephts waren nationalistische Banditen und ein kriegerisches Bergvolk, das in Griechenland lebte und gegen die Besetzung kämpfte, als das Land Teil des osmanischen Reiches war. Die meisten Klephts waren am griechischen Unabhängigkeitskrieg beteiligt. Um also eine neue Perspektive auf diese spezielle Geschichte zu erlangen, habe ich die politische Situation der Region zu der Zeit recherchiert und nach der dazugehörigen traditionellen griechischen Kleidung aus dem 19. Jahrhundert gesucht.

OK, jetzt versteht ich dein Statement.
Im Grunde beziehen sich alle meine Ideen konkret auf den Balkan und die ehemalige jugoslawische Region, wo ich herkomme. Und davon abgesehen erkennt man meine Kollektionen an ihrem Farbschema und den einzigartigen Mustern.


Klephtis
 
Ja, das erste Mal bin ich beim Apocalypse SS12 Daniel Bollinger Lookbook auf deine Arbeit gestoßen, das war auf jeden Fall etwas anderes. Was war die Inspiration für diese Kollektion?
Die Geschichte der Apokalypse aus der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch im Neuen Testament. Ein paar Ideen habe ich aus der Geschichte der Offenbarung entnommen und in meine digitalen Textildesigns integriert, wie du auf den Fotos sehen kannst. Ich habe sie „Roben der Erlösung” genannt, „Kleidung der Freude”, weil die ganze Kollektion darstellt, wie nah Apokalypse und Begeisterung zusammenliegen. Die Entwürfe sollen surreale Beschwörungen von beidem, Erlösung und Transzendenz, sein und auch eine Mischung aus jahrhundertealter Glaubenssysteme und postmoderner Science-Fiction. Merkwürdigerweise wurde ich eingeladen, die Klamotten auf der Tokio Fashion Week im März 2011 zu zeigen, aber wie wir alle wissen, hat die echte Apokalypse—das Erdbeben und der Tsunami—bereits begonnen, also bin ich nicht hingegangen.

Das ist ein bisschen gruselig. Wenn wir schon von der Apokalypse sprechen, hast du dich mit 2012 und dem Maja-Kalender und so beschäftigt?
Nein, nicht wirklich. Ich weiß nicht annähernd so viel über Maja-Geschichte wie über byzantinische Geschichte, also bleibe ich dabei.

Ist es der byzantinische Einfluss, der die Apocalypse-Kollektion so böse aussehen lässt?
Sie sollte überhaupt nicht böse aussehen. Sie soll Gelassenheit und spirituelle Freude ausstrahlen.


Klephtis

Oh, tut mir leid, wo liegt denn dann der byzantinische Einfluss bei dieser Kollektion?
Also, ich habe mich über byzantinische Kleidung informiert, aber auch über die Kleidung östlich-orthodoxer Mönche. Orthodoxe Mönche führen ein sehr strenges Leben und ihre vorrangige Aufgabe ist es, für die Welt und die Erlösung der Menschheit zu beten. In der östlich-orthodoxen Kirche sind das innere Gewand—die Isorassa—und die weiche klösterliche Kopfbedeckung—der Skoufos—der erste Teil der orthodoxen klösterlicher Tracht, bei der es nur diesen einen üblichen Stil gibt.

Wow, jetzt ergibt alle Sinn, aber es ist unglaublich konzeptionell, also verzeih mir, dass ich verwirrt bin.
Ja, es ist konzeptionell, aber Mode ist ein Zeichen kreativer Selbstdarstellung. Es sollte nicht nur eine Reihe von Kleidungsstücken oder Accessoires sein, die willkürlich zusammengesetzt worden sind, also arbeite ich immer mit einem Konzept. Für mich ist Mode Kunst, nicht nur ein Produkt, dass angefertigt wurde, um verkauft zu werden.


I’m A Good Socialist

Kunst war also der Ursprung, warum du mit dem Label angefangen hast?
Ja, auf jeden Fall. Ich war mitten im Studium, aber ich habe 2007 Sadak gegründet, weil ich ein Label erschaffen wollte, das sowohl als Kunst und Theater, als auch als Mode funktioniert.

Oh ja, ich habe diese ganzen Bühnenfotos auf deiner Seite gesehen. Entwirfst du normalerweise die Kleidung und begründest die Produktion um sie herum? Oder anders herum?
Also die Produktionen sind sehr verschieden, deswegen sind die Kostüme eigens für jede entworfen. Die letzte Produktion, die ich gemacht habe zum Beispiel, war mit dem Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui und das Stück hieß TeZukA, weil es auf den Manga- und Comiccharakteren vom Gott des Anime und Schöpfer von Astro Boy, Osamu Tezuka, basiert hat. Zum Leben wurde sie aber durch zeitgenössischen Tanz erweckt. Also habe ich alle Kostüme so entworfen, dass sie zu diesem Thema passen.

Du hast die alle gemacht?
Ja.


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Das ist verrückt. Du scheinst wahnsinnig produktiv zu sein. Machst du die komplette gestalterische Arbeit für Sadak alleine?
Ja, aber ich fange dieses Jahr mit meiner eigenen kleinen Produktionseinrichtung an.

Wow. Die enthält dann alles vom schwarzen, roten und goldenen Label? Was ist der Unterschied zwischen den Labeln?
Der einzige Unterschied zwischen dem schwarzen, roten und goldenen Label ist der Preis. Alle drei gehören zu einer Kollektion und einem Konzept, aber Mode ist teuer, also mag ich es, einen Weg zu finden, mich an das Konzept zu halten, aber trotzdem eine preiswertere Auswahl an Kleidungsstücken anzubieten.

Wie nobel von dir. Du bringst demnächst auch Accessoires heraus, richtig?
Ja, ich arbeite an meiner Internetseite und am Onlineshop, im Januar werde ich dann neue Konzepte für den ganzen Online-Kram und die Accessoire-Kollektion haben.


Apocalypse SS11

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Kannst du mir erzählen, was das für ein Konzept ist?
Nein, ich fürchte, darüber kann ich dir nicht mehr erzählen, solange ich nicht fertig bin. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich mit einem Freund von mir zusammenarbeite, der jung und extrem talentiert ist.

Cool. Als letztes, was ist das für ein Logo? Es erinnert mich ein bisschen an die Freimaurer oder an eine geheime alte Organisation, und nachdem ich mit dir geredet habe, würde es mich nicht wundern, wenn dem so wäre.
Haha. Nein, das Logo von Sadak ist eigentlich eine stilisierte Version einer alten Blume, die in Ex-Jugoslawien auf die ärmellosen Jacken gestickt wurde, die eine Art nationales Kostüm waren. Sadak ist der Name für diese Jacken.

Fotos: Daniel Bollinger-Samo

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