“Name bitte!”, fordert eine Stimme durch die Sprechanlage, nachdem ich zweimal geklingelt habe. Man hat schon durch die Kamera gesehen, wie ich vergeblich versuche, in das Haus zu kommen. Die Adresse kam eine Woche zuvor mit der Bitte, sie niemandem weiterzugeben und auch nirgendwo abzuspeichern. Anfangs frage ich mich noch, woher diese Vorsicht kommt. Googelt man die Adresse, kommt man in ein sehr unheimliches Forum und weiß schnell Bescheid.
Männer diskutieren hier unter anderem über die Nachteile der Emanzipation und veröffentlichen die Adressen von Frauenhäusern. Ein User mit nicht nur sexistischem, sondern auch gewalttätigem Namen, zeigt sich glücklich über die Veröffentlichung. Dann könne er dem Haus ja nun einen Besuch abstatten. Ein anderer User schreibt, dort könne man die entführten Kinder wiederfinden. Und ein weiterer ergänzt, einen Haufen Nutten fände man dort auch.
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Von außen sieht das Haus aus wie jedes andere in der Straße: wie ein durchschnittliches Wohnhaus. Ich erkläre durch die Sprechanlage, wer ich bin und bei wem ich einen Termin habe und werde durch zwei Sicherheitstüren ins Innere des Gebäudes gelassen. Auf verschiedenen Sprachen stehen hier bunte Worte der Begrüßung.
Eine Frau bringt mich in die oberen Stockwerke, wo die Geschäftsführerin des Vereins Wiener Frauenhäuser, Andrea Brem, mit einer Kollegin auf mich wartet. Sie entschuldigt sich für die Vorsicht, mit der ich hineingelassen wurde. “Die Häuser sind sicherer geworden in den letzten Jahren, die Leben der Frauen nicht unbedingt.” Gerade vor ein paar Tagen habe es eine Bombendrohung gegeben, erzählt sie. Ein Mann habe angerufen und gesagt, in einer halben Stunde gehe eine Bombe hoch. Nichts passierte, die Polizei evakuierte das Gebäude, die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gleich wieder ein.
Jede von familiärer Gewalt betroffene Frau kann hier um Hilfe ansuchen. Der Großteil der Frauen, die hier leben, haben Gewalt durch ihren Mann erfahren, wenige andere auch von anderen Familienmitgliedern. Über 90 Prozent der Gefährder bei häuslicher Gewalt sind männlich. Weibliche Opfer wurden in 96 Prozent der Fälle von einem Mann gefährdet. 2014 fanden in den Wiener Frauenhäusern 635 Frauen und 630 Kinder vorübergehenden Schutz.
Der Wiener Verein hat vier Häuser, eine ambulante Beratungsstelle und 54 Wohnplätze, in denen Frauen dann schon selbstständig leben können, aber betreut werden. Im Moment leben hier 24 Frauen und 28 Kinder. Manche Frauen kommen auch mit fünf Kindern oder mehr. Gerade für Frauen mit Kindern ist es schwierig, woanders unterzukommen. Alleine findet man eher einen Ort, an dem man vorübergehend bleiben kann. Ein Hotel, ein Sofa bei Freunden, Eltern oder Kollegen.
“Im besten Fall kommen die Frauen mit Gepäck, Ausweisen und Papieren. Aber manchmal eskaliert es zu Hause, mitten in der Nacht, und dann nehmen sie nur schnell ihre Kinder und kommen mit gar nichts. Weil sie einfach rausgerannt sind.” Johanna K. hat eine angenehme Stimme. Wenn sie von ihrem Arbeitsalltag erzählt, merkt man ihr zwei Sachen ganz stark an: Empathie und Unerschütterlichkeit. Sie lächelt viel, während sie erzählt. Ein beruhigendes, beschwichtigendes Lächeln, das einem das Gefühl gibt, alles sei jetzt in Ordnung.
Wenn Frauen ohne Habseligkeiten kommen, werden sie von einer Mitarbeiterin des Frauenhauses und der Polizei in die Wohnung begleitet, damit sie die notwendigen Dinge holen kann. “Da wird’s dann manchmal schwierig, weil die Väter zum Beispiel die Pässe nicht rausrücken”, erzählt K. Diese Momente seien fast immer sehr emotional und die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation eskaliert, sehr hoch. Deswegen dürfe niemand alleine gehen. Die Polizei ist in diesen Momenten immer dabei.
Ein Vater habe einmal seine Familie erpresst: Wenn sie nicht zurückkämen, würde er das Meerschweinchen verhungern lassen. Sie hätten versucht, es zu holen, aber dann “lag das Meerschweinchen wirklich tot im Käfig”, erzählt K. “Was das für die Kinder bedeutet hat … Deswegen nehmen wir mittlerweile alles auf. Käfigtiere, Katzen und Hunde.”
Bei vielen Frauen sei aber etwas anderes viel schwerwiegender als die körperliche Gewalt, so Brem, nämlich die hundertprozentige Kontrolle, die ihre Männer ausübten: “Sie darf oft nicht aus dem Haus gehen, darf keine Freunde treffen. Wir haben Frauen, oft auch Frauen mit migrantischem Hintergrund, die leben 10 Jahre in Wien und kennen den Weg von ihrer Wohnung zum Billa und zum Kindergarten. Die können die Sprache nicht und wenn sie sich trennen, stehen sie vor dem Nichts.”
Diese Kontrolle betrifft natürlich auch ihre Sexualität. Man kann sich vorstellen, wie selbstbestimmt eine Frau ihre Sexualität leben darf, die in anderen Lebenslagen so kontrolliert wird. “Gar nicht selbstbestimmt. Ihr Mann bestimmt über ihren Körper”, sagt Brem. Ein sehr großer Teil der Männer, deren Frauen in das Haus kommen, würden sich im Recht sehen, so K. “Die sagen dann sowas wie: ‘Du hast halt auch schlecht gekocht’ oder ‘Du bist ja auch eine Hure’. Manche dieser Männer haben auch einen Eifersuchtswahn. Da darf die Frau dann nicht mal mit dem Verkäufer reden und zu einem männlichen Gynäkologen gehen.”
Viele der Frauen würden dauernd entwertet, erzählt Johanna K. “Sie werden jahrelang beschimpft und haben oft wirklich das Gefühl, dass ihr Mann Recht hatte. Das Selbstwertgefühl sinkt durch dieses ständige Abwerten und Beschimpfen. Viele Männer werfen ihren Frauen vor, dass sie psychisch krank seien und die Frauen fangen so an, ihre eigene Wahrnehmung anzuzweifeln. Dann sitzen sie weinend hier und sagen: ‘Ich glaub er hatte Recht, ich werde das alleine nicht schaffen. Ich bin ja wirklich nichts wert.’” Andrea Brem schüttelt den Kopf: “Dabei sind da so tolle Frauen dabei! Wunderhübsch. Aber viele haben gar kein Selbstwertgefühl mehr. Viel zu lange wurde ihnen gesagt, wie fett und hässlich und wie wenig wert sie wären.”
Der Großteil der Frauen im Haus sind von schweren Drohungen massiv eingeschüchtert, so K. Das gehe bis hin zu Morddrohungen gegen sie, ihre Kinder und ihre Familie. “Vor drei Jahren ist auch in einer Nebenstraße eine unserer Bewohnerinnen vor den Augen ihres Kindes von ihrem Mann erstochen worden. Viele Ehemänner haben dann den anderen Bewohnerinnen gedroht: Dir wird es so gehen wie dieser Frau.”
“Damit, dass die Frauen gehen, ist schon sehr viel geschafft”, sagt Andrea Brem. “Der Mann weiß dann, dass all das eine gewisse Öffentlichkeit hat und jemand zusieht. Es passiert nicht mehr in den vier Wänden, sondern plötzlich ist da noch jemand.” Ein bisschen weniger als die Hälfte der Frauen nützen Frauenhäuser nur kurz, der Rest zwischen drei Monaten und einem Jahr. “Wenn es eine neue Gefährdung gibt, kann die Frau bleiben”, sagt Brem.
“Oder besser: muss bleiben. So toll ist es bei uns ja nicht. Man muss schon sagen: Er sitzt in der Wohnung und hat alles. Fernseher, die eigenen Sachen. Und die Frauen sitzen hier mit drei oder vier Kindern in einem Zimmer und teilen sich Küche und Bad mit anderen. Hierher zu kommen ist wahnsinnig mutig. Die Frauen wissen nicht, was sie hier erwartet. Dass sie zu uns kommen ist ein Zeichen von unglaublicher Verzweiflung, aber auch unglaublichem Mut.”
Viele der Bewohnerinnen wurden schon schwanger misshandelt. Ihre Kinder wachsen mit Gewalt auf. Mit Gewalt von nahen Bindungspersonen. “Das ist ja viel traumatisierender, vom eigenen Vater oder jemandem geschlagen zu werden, der einen eigentlich schützen sollte, als von jemand anderem.” Viele der Frauen waren selbst auch gewaltbetroffene Kinder und haben gar nicht das Bewusstsein dafür, dass sie ohne Gewalt leben dürfen. Johanna K. habe einmal ein Kind betreut, das gesagt habe, sein Vater habe ihn nie geschlagen. “Er hat gesagt: ‘Nein, mich haut der Papa nie. Nur wenn ich schlimm bin.’ Er hatte das so verinnerlicht und gesagt: ‘Er muss mich ja hauen, sonst wird nichts aus mir.’”
Für die Kinder sei es natürlich extrem belastend, zu sehen, wie der Vater die Mutter misshandle, erzählt K. “Zu sehen, wie der Papa die Mama blutig schlägt, gegen die Wand wirft. Auch, wenn sie im Nebenzimmer weggesperrt sind … dann hören sie es halt. Das Schreien, das Donnern. Ich hatte mal ein Kind, das aus der Schule gekommen ist und seine Mutter nicht mehr wieder erkannt hat, weil ihr Gesicht so misshandelt und blutunterlaufen war. Das Kind dachte, da liegt eine fremde Frau in der Wohnung.”
Andrea Brem steht auf und holt das Bild des Jungen, der mit rotem Buntstift seine Familie gezeichnet hat. “Links ist der Vater, der auf die Mutter schießt. Die Mutter erkennt man an den Busen, hat er erklärt. Und er selbst wirft sich dazwischen. Er ist interessanterweise der Große zwischen den beiden Erwachsenen. Und oben ist das gebrochene Herz.”
Frauen kommen hier auf unterschiedlichsten Wegen an. Viele werden von der Polizei gebracht, andere kommen über das Jugendamt, weil die Kinder auffällig wurden und sich die Frauen den Betreuerinnen oder Betreuern dort anvertrauen. Andere kommen von Frauenberatungsstellen oder haben über Medien erfahren, dass es Frauenhäuser gibt. Viele kommen auch aus Krankenhäusern. Auf WCs in Krankenhäusern ist der Notruf plakatiert, Frauen sehen die Nummer und rufen an. Aber die meisten Frauen würden es durch Dritte erfahren, so Brem: “Es sind oft die nicht so involvierten Freunde und Freundinnen, ArbeitgeberInnen, KollegInnen. Die sagen dann: Geh doch ins Frauenhaus. Es gibt oft jemanden, der motiviert, bis sich die Frauen trauen.”
An Feiertagen wird hier gemeinsam gekocht. Im Innenhof können die Kinder miteinander spielen und in der Nestschaukel schaukeln, während die Frauen auf den Bänken sitzen und sich austauschen. Die Kinder freuen sich, als ich mit den Betreuerinnen in den Hof trete. Johanna K. begrüßt alle Mütter und Kinder mit ihrem Vornamen und blödelt kurz mit einem kleinen Jungen herum. Er lacht. Eine externe Maltherapeutin beschäftigt sich manchmal mit den Kindern, einige Zeichnungen hängen im Gebäude. Auf die Therapiestunden freuen sich die Kinder meistens schon: Sie merken sich die Tage und Betreuerinnen, im Sonnenraum wird mit Spielzeug an die Situation rangegangen. “Gibt es auch Kinder, die das hier als Spaß erleben?”, frage ich im Paradies des Sonnenraums stehend. “Manchmal”, sagt Johanna K.
“Es gab mal ein Kind, das gesagt hat, sie sind hier auf Urlaub. Das kommt schon vor. Wir müssen aber trotzdem immer schnell versuchen abzuklären, was das Kind erlebt hat, damit wir die Gefahr einschätzen können, in der sich die Familie befindet. Wenn die Kinder nicht darüber sprechen möchten, dann sagen wir: ‘Soll ich dir einmal erzählen, warum andere Kinder da sind?’ Dann erkennen Kinder oft Situationen wieder. Ich frage dann zum Beispiel, was sie in solchen Situationen gemacht haben und das Kind erklärt, dass es sich immer am Klo verkrochen hat. Dann sag ich: ‘Das war aber eine super Idee!’ Wir arbeiten stark an der Stärkung, aber wir müssen auch die Vergangenheit abklären.”
Aber manchmal geht es nur um den Spaß. Eine Freizeitbetreuerin ist genau dafür zuständig. Mit ihr geht es nicht um die Ängste der Kinder, die werden mit den Kindertherapeutinnen besprochen. In der Freizeitbetreuung können Kinder alles rauslassen. Laufen, schreien, spielen. Bewegung ist wichtig, denn Traumatisierung führt dazu, dass sich die Kinder anspannen. Viele sind in ständiger Alarmbereitschaft und überangespannt.
Neben jeglicher Betreuung muss auch viel Papierkram erledigt werden. Dokumentieren, mit dem Jugendamt zusammenarbeiten, Scheidungen, Anzeigen, Wohnungssuche. “Die Gewalt wird heute subtiler”, erzählt Andrea Brem. “Früher hatten wir viel mehr Männer vor den Häusern stehen, heute wehren sie sich stärker juristisch. Sie haben das Geld und sind selbstbewusster. Die stecken dann oft ganz viel Geld in juristische Verfahren, sobald die Frauen bei uns sind.” Jetzt stünden sie nicht mehr so oft vor der Tür, aber dann eben bei der nächsten Busstation. Das Problem ist nicht weg, es hat sich nur ein wenig verschoben.
Hier wird nicht bemitleidend oder hilflos über die Frauen, Kinder und ihre Geschichten gesprochen. Frauen setzen sich hier für Frauen und Familien ein, die Hilfe benötigen. Das Wort Opfer mag Andrea Brem nicht so gerne. “Ich sehe unsere Frauen überhaupt nicht als Opfer. Ja, ich sehe sie als Opfer von Gewalt, aber wenn man weiß, was sie mitgemacht haben, dann muss man sagen, dass diese Frauen unheimlich stark sind. Im Englischen hat sich das Wort ‘Survivors’ durchgesetzt und ich finde ‘Überlebende’ einen sehr schönen Begriff. Wenn man sich die Geschichten unserer Frauen ansieht, dann merkt man: Das sind tatsächlich oft Überlebende.”
Natürlich gehen manche Frauen auch zurück zu ihrem Mann. “Das muss man akzeptieren, sie sind ja erwachsene Menschen”, sagt Brem. Manche kommen wieder und immer wieder, weil sie es nicht schaffen, beim ersten, zweiten, dritten Mal wegzukommen—aus welchen Umständen auch immer. “Man sagt ihnen dann jedes Mal, wenn sie wieder zu ihm zurück möchten: ‘Erinnern Sie sich, das und das ist passiert, ich halte es für keine Gute Idee, aber: Wir sind immer für Sie da’. Manche brauchen acht Anläufe und schaffen dann den Absprung.”
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Die Nummer des Frauenhaus-Notrufes: 05 77 22
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