Wisst ihr noch, als ein notgeiler Robin Thicke “I know you want it” in die Ohren halbnackter Mädchen raunte und damit einen der erfolgreichsten Songs 2013 einfuhr? Bevor “Blurred Lines” gerichtlich als Marvin Gaye-Plagiat anerkannt wurde, bestand die größte Kontroverse des Songs nämlich in seinen Lyrics. Diese deuten nicht-einvernehmlichen Sex an und erinnern immer noch ein bisschen zu sehr an die tatsächlichen Worte von Vergewaltigern.
Zwei Jahre später erfuhr Justin Biebers “What Do You Mean?” ähnliche Kritik, wenn auch in deutlich abgeschwächter Form. Hier gab es zwar keine explizit sexuellen Andeutungen, aber trotzdem wird die vermeintliche Unentschlossenheit einer Frau besungen, die nie wirklich das meint, was sie sagt – und genau da wird es problematisch.
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Vor 20 Jahren wären derartige Inhalte nicht weiter aufgefallen, heute lösen sie gern eine Thinkpiece-Lawine aus. Diese Sensibilisierung – vor allem gegenüber Popkultur – ist dem Internet entwachsen: Hätte es Twitter in den 90ern gegeben, wäre eine 16-jährige Britney wohl für ihr übersexualisiertes Auftreten zerfetzt worden und Feminismus hätte einen Großteil aller romantischen Komödien verhindert. Ja, früher gab es weniger Aufregung. Das bedeutet aber nicht, dass früher alles besser war. Im Gegenteil.
Rape Culture war schon immer tief in österreichischer Popkultur verwurzelt und zeigt, dass ‘unsere Tradition’ selten ein Problem mit nicht-konsensualem Sex oder Frauen als Sex-Objekt hatte. Der Wachzustand, in dem wir uns heute mehr oder weniger befinden, erlaubt uns, unsere Kindheit mit erwachsenen Augen zu sehen. Dabei fällt einem dann vielleicht auf, dass der Kiddy Contest ein massives Sexismus-Problem hat. Oder dass “Zehn kleine Negerlein” eigentlich ziemlich arg ist. Oder dass traditionelle Gstanzl-Texte wie diese irgendwie nicht lustig sind: “Mei Dirndl, hods die greckt? Hob i da’n zweit einigsteckt? I ko a nix dafia wons da ned schmeckt.”
Wenn ein Text mit dem Titel “Alkohol macht Frauen willig” – im Grunde genommen nichts anderes als eine Anleitung zur Vergewaltigung – auf dem Online-Auftritt der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs abrufbar ist, dann sagt das einerseits viel über die Kronen Zeitung aus, aber auch genauso viel über das Land, in dem wir leben.
Dass es erst einen öffentlichen Fingerzeig braucht, damit besagter Text ganze 14 Jahre nach seiner Veröffentlichung offline genommen wird, beweist, dass Hinterfragen auch rückwirkend betrachtet sinnvoll sein kann. Auch dann, wenn es um den Lieblingsfilm unserer Oma oder einen allseits beliebten Zeltfest-Schlager geht.
“Vergewaltigung ist etwas nicht unbedingt Unangenehmes!”
Mädchenjahre einer Königin aus dem Jahr 1954 zeigt eine junge Romy Schneider als Königin Viktoria von England. Regie führte, wie auch später bei der Sissi-Reihe, der Österreicher Ernst Marischka, was den Film zu einer Art Vorläufer für die Trilogie macht. Mädchenjahre einer Königin läuft das nächste Mal am Ostersamstag auf ORF 2, das ganze Ding ist aber auch in voller Länge auf YouTube verfügbar.
Nicht falsch verstehen – Mädchenjahre ist genau wie Sissi perfektes Feiertags-Fernsehen. Aber ungefähr bei der Hälfte ereignet sich ein Dialog, der spätestens aus heutiger Sicht nicht gerade leicht anzuhören ist und einfach so stehengelassen wird: Viktoria soll gerade ein Gesetz unterzeichnen, das neben anderen Strafdelikten (Hochverrat, Seeräuberei, diese Dinge) auch Vergewaltigung anspricht. Leider hat die Gute keine Ahnung, was das überhaupt sein soll. Also fragt sie nach. Und bekommt eine Erklärung.
“Vergewaltigung ist etwas … nicht unbedingt Unangenehmes, das einer Frau zugefügt wird, ohne dass sie es wünscht”, heißt es da. Romy Schneider schaut infolgedessen ebenso betroffen wie beschämt zu Boden und der Rest von uns kann heilfroh sein, dass das hier nicht 1954 ist und eine Vergewaltigung im Jahr 2017 eindeutig unter “unangenehm” fällt.
“Nein heißt ja, wenn man lächelt so wie du!”
Der Klassiker “Nein heißt ja” von G. G. Anderson ist im Grunde genommen das deutschsprachige “Blurred Lines”, nur dass sich im Jahr 2000 niemand daran gestört hat. Die unfassbar große Beliebtheit von Schlagermusik in Deutschland und Österreich macht das nicht gerade besser. Meiner Erfahrung nach wird “Nein heißt ja” bis heute erfolgreich auf Dorffesten gespielt und beschäftigt sich mit dem altbekannten Prinzip der Frau, die zwar “Nein” sagt, damit aber “Ja” meint. Ich will G. G. Anderson nichts vorwerfen, aber dieser glasige Blick in Richtung Kamera während er “Nein heißt ja, wenn man flüstert so wie du, du kannst mir ruhig in die Augen schauen” singt – da möchte man schon ein bisschen brechen.
Hört man “Nein heißt ja” und denkt dabei etwa an den Fall von Gina-Lisa Lohfink, wird der Song sogar nochmal eine Spur ekliger – zumal “Nein” laut deutschem und österreichischem Sexualstrafrecht erst seit dem Jahr 2016 (!) auch wirklich “Nein” bedeutet. Davor musste sich eine Frau körperlich wehren, damit eine Vergewaltigung rechtlich anerkannt wurde. Ein “Nein” allein reichte nicht. Heißt: Bis vor einem Jahr hatte G. G. Anderson irgendwie sogar einen Punkt – strafrechtlich gesehen.
“Zweimal Nein heißt einmal Ja”
Von Bloggern liebevoll “Vergewaltigungs-Polka” getauft, schwirrt dieser Song des österreichischen Schwesternduos Sigrid & Marina seit seiner ursprünglichen Veröffentlichung im Jahr 2007 durch das Netz: “Zweimal Nein heißt einmal Ja, so ist das bei uns Frauen! (…) Ja, die Logik einer Frau, die muss ein Mann erst mal studieren.” Es ist abermals die “Nein heißt ja”-Botschaft – allerdings von weiblichen Stimmen gesungen und damit umso trauriger. Merke: Two wrongs don’t make a right. Zweimal Nein heißt immer noch Nein.
Peter Wessely, einer der Komponisten, sagt gegenüber VICE, er würde den Text jederzeit wieder so schreiben. Man müsse den Titel bis zu Ende hören, um zu verstehen, dass der Inhalt mit einem Augenzwinkern gemeint sei und alles auf freiwilliger Basis passiere. “So viel Zeit muss man sich nehmen”, so Wessely. Am Ende des Songs wird übrigens nichts von alldem relativiert, sondern nur der Refrain ein paar Mal wiederholt.
“Triff der Anna ihre Äpfel!”
2009 geriet die Tiroler Volksmusikgruppe Die Ursprung Buam unter medialen Beschuss, nachdem auf ihrer Website ein Spiel namens “Triff der Anna ihre Äpfel” veröffentlicht worden war. Im Spiel konnte man mit einer Steinschleuder auf die Kellnerin Anna schießen. Die balancierte zwar einen Apfel auf ihrem Kopf – traf man allerdings ihren Busen (“Andere Sache koansch a no treffen”), entblößte die Cartoonfigur ihren Oberkörper. Schoss man Anna wiederum auf die Genitalien, war sie plötzlich völlig nackt.
Das Spiel wurde offline genommen. Die damalige Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek forderte den ORF daraufhin auf, die Gruppe aus einer quotenstarken Sendung auszuladen – zumal sie schon im Vorfeld wegen einem Lied namens “Achmed, lieber Achmed” kritisiert worden war. Nach einer Prüfung der Inhalte kam der ORF zum Schluss, dass kein Grund für eine Ausladung bestand. Die Ursprung Buam durften auftreten. Seit 2009 veröffentlichte die Gruppe acht neue Studioalben; sechs davon wurden seither mit Gold ausgezeichnet.
Die Art, mit der wir heute auf Inhalte wie diese reagieren – auch wenn sie bereits Jahre in der Vergangenheit liegen – spricht dafür, dass wir auf einem annähernd richtigen Weg sind. Trotzdem: Ein aufgeregter Tweet ändert realpolitisch nur sehr wenig und die oben angeführten Beispiele sind nur ein Bruchteil dessen, woran sich jahrelang niemand gestoßen hat. Ein Umdenken braucht Zeit. Nichtsdestotrotz sollte man sich an “Nein heißt ja” als eine Art Mahnmal erinnern – und daran, dass zumindest das Bewusstsein für die Problematik heute wesentlich stärker ausgeprägt ist, als noch in unserer Kindheit und davor.
Franz auf Twitter: @FranzLicht