Ich bin eine Frau und ich bin so an die 184 Zentimeter groß. Es gibt Aufzeichnungen, da bin ich zwei Zentimeter kleiner. Ich war schon immer das größte Mädchen in der Klasse, es war also kein magischer, post-pubertärer Wachstumsschub, der mich erwischt hat. Hätte ich es mir aussuchen können, wäre es wahrscheinlich so. Bis zu meiner vermeintlichen sexuellen Reife war es mir sehr recht, größer als die anderen zu sein. Während der Pubertät habe ich es nur gehasst.
Als Wettkampfschwimmerin wurde ich von allen Trainern als die Hoffnung und das Talent angesehen, einfach nur weil ich zwei Köpfe größer war als die anderen Mädels. Im Sportunterricht wurde ich trotz meiner Ungeschicklichkeit mit Bällen als eine der Ersten in das Team gewählt. In Freundeskreisen, die eher männlich waren, habe ich immer gut mitraufen können. Meine Größe war wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich überhaupt mehr männliche Kinderfreunde hatte als andere Mädels. Das, und meine Nähe zu den Power Rangers, Tony Hawk und Pokémon.
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Bis dahin war meine Größe immer ein Pluspunkt für mich. Klar, Erwachsene schätzten mich grundsätzlich älter ein. Dadurch wurde von mir öfters erwartet, dass ich nicht so kindisch bin und mich reifer verhalte. Aber wie es bei Kindern so ist, hat sich das kaum auf mein momentanes Benehmen ausgewirkt.
Ab der anfänglichen Pubertät hat sich die Situation für mich gänzlich verändert. Ich wurde zwar noch immer als Schwimmtalent behandelt, noch immer als eine der ersten ins Team gewählt und ich raufte auch noch immer gleichberechtigt mit meinem Bruder und meinen Kumpels—doch es war nicht länger ein Pluspunkt für mich. Es fing an, mich zu nerven.
Es nervte mich, dass ich die war, die Alkohol und Zigaretten kaufen musste, weil die anderen nichts bekommen haben. Es nervte mich, dass ich weiterschwimmen musste, weil ich sonst ein „verschwendetes Talent” gewesen wäre. Die unverständlichen Glückwünsche der Erwachsenen nervten mich auch. Mir war es mit 13 egal, dass ich lange Beine habe. Wahrscheinlich lag es auch an dem Alter, aber mich nervte alles, was mit meiner Größe zusammenhing. Der ausschlaggebende Punkt, warum meine Größe anfing, mich zu nerven, war nicht die Tatsache, dass alle in meiner Umgebung es zu einem Thema gemacht haben. Es war wegen den Jungs.
MOTHERBOARD: Ist ein Single-Gen für deine unglücklichen Beziehungen verantwortlich?
Wenn man ein 14-jähriges Mädchen ist, das durchschnittliche Hobbys hat, wünscht man sich nichts mehr, als zum Durchschnitt zu gehören. Man möchte hübsch sein, einen großen Bussi-links-Bussi-rechts-Freundeskreis haben und vor allem möchte man einen Freund, der größer ist. Diese Rechnung geht nicht ganz auf, wenn man mit 14 bereits 175 Zentimeter groß ist und die Jungs in der Klasse noch sehnsüchtig auf den Stimmbruch warten.
Waren es bis dato Erwachsene, die meine Größe in den ersten drei Sätzen erwähnt hatten, haben ab der Oberstufe damit auch alle anderen angefangen. Auch meine Kumpels. Das war natürlich eine große Krise für mich, da keiner meiner Herzensjungs größer war—und eine noch größere Krise, dass meine Größe für sie eben auch Thema war. Das Problem war nicht mein Wunsch nachjemand Größerem, das Problem war der Wunsch der Jungs nach jemand Kleinerem.
Danach folgte eine längere Beziehung mit einem älteren und größeren Typen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es mir in den schlimmsten Jahren der Pubertät mit meiner Größe gegangen wäre, wenn ich keinen Freund gehabt hätte. Wieder im Single-Leben angekommen, war ich auf einmal 18, die Lage hatte sich verändert. Die Jungs waren keine Jungs mehr—es waren mehr oder minder große Männer. Nicht alle waren so groß wie ich, aber fast alle erreichten die 180-Marke. Auch beim Fortgehen traf ich nun mehr ausgewachsene Exemplare.
Doch ausgewachsen heißt nicht automatisch größer. Ich war der Überzeugung, dass kleinere Typen mich asexuell finden. Automatisch ließ ich meine High Heels im Schrank. Ich hielt an dem konservativen Beziehungsbild fest. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich dachte, dass alle daran festhalten. Bis mich mein zweiter Freund, der doch ein bisschen kleiner war, gefragt hat, warum ich nie welche trage. Ich lachte nur und sagte, dass ich dann ja größer bin. Was er darauf geantwortet hat, hat mein Leben nachhaltig verändert und hat mich das erste Mal in Bezug auf meine Größe und Männer gut fühlen lassen.
„Aber du bist ja sowieso größer. Und ich komme mir wie ein wirklich geiler Typ vor, wenn ich so eine große Frau an meiner Seite habe und sie an der Hand halten darf.” Es klingt jetzt vielleicht nicht besonders feministisch, aber ich war eine Trophäe—und meine Größe war es auch. Zum ersten Mal war meine Größe nichts Störendes oder Andersartiges. Sie war zum ersten Mal für jemanden etwas völlig anderes: nämlich sexy. Und etwas, worauf man(n) stolz war.
20 Jahre meines Lebens habe ich also gebraucht, um zu verstehen, dass Größe etwas ist, das als sexy angesehen werden kann—auch wenn der Mann selber kleiner ist. 20 Jahre hat es gedauert, bis ich verstanden habe, dass ein kleinerer Typ, der ein größeres Mädchen anspricht, viel mehr Eier in der Hose hat, weil es ihn mehr Mut kostet. Weil der kleinere Typ davon ausgeht, dass das größere Mädchen einen noch größeren Prinzen will. Und ich habe verstanden, dass sich Männlichkeit nicht in irgendwelchen Größenverhältnissen äußert. Eher im Benehmen.
Und ich habe außerdem verstanden, dass Männer, die es nötig haben, darauf zu pochen, dass die Frau kleiner sein muss, ziemlich erbärmlich sind. Sollten Typen mitlesen, die ihrer Freundin verbieten, hohe Schuhe zu tragen, weil sie sich ansonsten entmännlicht fühlen: Keine Sorge, wahrscheinlich ist eure Männlichkeit ein leicht zerfallendes Konstrukt und somit nichts, worum man sich so pingelig kümmern müsste. Lasst ruhig los. Große Frauen der Welt, die die klassischen Vorstellungen nicht loslassen: Gleich große Männer sind scharf. Kleinere auch. Gebt ihnen eine Chance.
Mittlerweile sehe ich es so, dass ein viel zu großer Größenunterschied in beide Richtungen nicht sexy ist. Ich lache jedes Gspusi aus, das meine High Heels nicht mag. Ich muss ehrlich glucksen, wenn mir nach Monaten auffällt, dass der Typ kleiner ist. Größenunterschiede sind mir, ganz ehrlich, total egal geworden. Und das ist ein wahnsinnig befreiendes Gefühl. Viele meiner Freundinnen, die durchschnittlich groß sind, stehen da immer noch nicht drüber.
Ich habe auch nicht das Gefühl, wegen meiner Größe irgendwas am Single-Markt zu verpassen. Dass ich in den ersten drei Sätzen auf meine Größe angesprochen werde, hat sich nicht verändert. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Auch an die Aufforderung, mich Rücken an Rücken mit einem mir fremden Menschen zu stellen. Um zu schauen, ob ich wirklich größer bin. Oh und eine Bitte: Bitte fragt niemals ein großes Mädchen, ob sie zufällig modelt oder Basketball spielt. Das nervt alle großen Mädels und wir solidarisieren uns dann im Club anhand von „Und wie oft wurdest du heute schon gefragt, ob du Basketball spielst?” Die Antwort ist übrigens meistens nein. Besiegen würden wir euch trotzdem. Schon alleine deshalb, weil uns jede Schule ins Basketballteam rekrutiert hat.