Tagada is a happy place
Gestern habe ich die Redaktion verlassen, um an den bestimmt lustigsten Ort Wiens zu fahren: den Prater. Und ich hasse lustige Orte. Der Prater ist voll mit kitschigen Ecken und Geisterbahnen, vor denen Kinder im Jahr 2015 nicht einmal mehr in der Nacht, bei Gewitter und mit Richard Lugner in der ersten Gondel Angst hätten. Du gehst durch eine gefakte Welt voller Zuckerwatte und Touristen, die in ihrer Heimatstadt zum Großteil auch einen Vergnügungspark mit—bis auf das Riesenrad—den gleichen Attraktionen haben. Das mit Lugner nehme ich übrigens zurück, bis zu diesem Satz hat die Gänsehaut nicht mehr nachgelassen, weil ich ihn mir in der blöden Gondel vorgestellt habe. So, nun tu ich aber so, als wäre der Prater für mich genau so magisch, wie er es für viele andere eben ist. Stellenweise ist er auch wirklich entzückend: Karussells in Pastellfarben, ein paar Blumen haben sie auch hingestellt und der blumige, belebende Duft von Langos zwitschert auch durch die Luft.
Warum ich hier war? Mein lieber Kollege Tori, der dem Prater weitaus positiver gestimmt ist, wollte vor einiger Zeit wissen, welche absurden Dinge, die Schausteller zu erzählen haben. Dabei ist er auch auf Harald vom Tagada gestoßen. Harald ist seit zirka zwölf jahren im Tagada-Business und selbsternannter Weltenbummler—er ist viel in Linz, in Ried im Innkries und in Laa an der Thaya. Und er macht die Musik, die beim Tagada gespielt wird, selbst. Zumindest zum Teil. Aber dazu kommen wir gleich. Er ist ein sehr freundlicher junger Mann, der mich trotz des Andrangs auf das Tagada nicht zu lange warten lassen wollte und mich mit meinen Fragen und die Tagada-Peeps gut unter einen Hut gebracht hat. Ein Vollprofi eben.
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„Als Jugendlicher wusste ich noch nicht, dass es ein Tagada gibt.“
Die Frage, die sich mir bei Menschen mit einem ungewöhnlichen Beruf (also ich kannte bis dato keinen Tagada-Fahrer) aufdrängt, ist, wie sie dazu gekommen sind. Bei Harald war es so: Er war schon immer ein Eisenbahn-Fanaktiker und ist hauptberuflich auch Lokführer. Als Teenager hat er monatlich eine Fachzeitschrift mit dem Namen „Aktuelle Bahn“ herausgebracht. Mit einem Freund ist er in Linz das erste Mal Tagada gefahren. Da war er 17. Bei einem Besuch im Wiener Prater führte eines zum Anderen. Er ist mit dem damaligen Chef ins Reden gekommen und der hat ihn gefragt, ob er ihm CDs zusammenstellen kann, die in einer gewissen Reihenfolge ablaufen, weil das Tagada musikabhängig geführt wird. Harald hat auch für andere Schausteller Musik zusammengesucht. Durch Zufall ist er dann auch selber zum Tagada-Lenker geworden. Zwölf Jahre lang ist er dann mit dem Tagada „getourt“ und ist letztes Jahr wieder in den Prater zurückgekehrt.
„Das Programm, das ist das Tagada-Soundsystem. Das habe ich auch selber gemacht.“
Über seinem Kopf hängt ein Bildschirm, auf dem verschieden Playlists, Artists und Songs sind. Das Programm hat er mit einem ehemaligen Schulkameraden entwickelt. „Er hat das nach meinen Ideen umgesetzt”, erzählt er, während zwei Mädchen schon die zweite Runde fahren wollen. Überhaupt, da sind Mädchen, die machen das als Sport oder so. Mit einer Eleganz stehen die in diesem rosaroten Ding und machen Hula Hoop-Bewegungen. Aber egal. Zurück zur Tagada-Software. „Das Programm hat drei Playlisten und eine spezielle Suchfunktion. Man kann Jingles einspielen—dabei wird die Musik unterdrückt.“ Wer schon immer mal ein Tagada-Soundsystem haben wollte und Windows hat, kann sich hier die Demo-Version herunterladen.
In erster Linie wird hier gespielt, was den Jugendlichen gefällt. Also Charts, aber auch Bootleg-Remixe. „Die Sachen müssen schieben.“ Wenn sich die Richtung ändert, dann ändert sich auch die Musik. Zum Endspurt gibt es immer was Schnelleres. So läuft das im Tagada-Business, Leute. „Manchmal spielen wir mehr HipHop, so R’n’B-mäßig, dann spielen wir wieder ein bisschen mehr Techno.“ Warum Harald aber besonders interessant ist, ist—wie schon erwähnt—die Tatsache, dass er auch selbst Musik fürs Tagada macht und dem Tagada sogar drei Alben gewidmet hat.
„Der Musikstil heißt Lento Violento, das ist ein Stil, der von Gigi D´Agostino erfunden wurde. Wir haben es ein bisschen modifiziert und haben es als Austro Lento bezeichnet.“
Während ich die Musik nach einer halben Stunde schon nicht mehr aushalte und sich leichte Dumpfheit und Kopfschmerzen langsam aber sicher ihren Weg in meinen Körper bahnen, erklärt mir Harald in aller Ruhe, dass Lento Violento „langsam und hart“ bedeutet und das gut zu ihrem Geschäft passt, weil es so schiebt. Wenn eine Fahrt zu Ende geht hört man öfters „Endstation. Bitte alles aussteigen.“ in der Stimme von Franz Kaida. Das Tagada ist eine Alt-Wiener-Idylle mit Scooter-Attitüde und Strobo-Eleganz. Momentan hat Harald keine CDs mehr geplant. „Das hat keinen gewerblichen Hintergrund, sondern ist just for fun. Es ist so auskalkuliert, dass es in Summe auf bar aussteige. Ich will auch nichts verdienen. Das wird nur komplizierter. Wenn du das eigennützig machst, ist es weit unkomplizierter.“ Irgendwann gehen einem eben die Ideen aus und wenn man die vierte Version von Lento Tagada—wie seine Compliations heißen—macht, dann wird es auch langweilig.
Wenn Harald übers Tagada-Mikro spricht, klingt er wie ein Ö3-Moderator. Und jetzt kommt´s: Der Tagada-Man hat nicht nur drei CDs mit Tagada-Musik gemacht und die Musiksoftware für dieses prollige Karussell entwickelt, sondern auch ein Internetradio. Als er irgendwann 1998 mit einem Typen im Ö3-Chat geschrieben hat, stellte sich heraus, dass der einen Radiosender hatte.
„Dass das ein Piratensender war, habe ich erst später gecheckt.“
Nun hat er eine eigene Website—radiomix.at—auf der du dir auf drei Kanälen seine vorab aufgenommenen Programme anhören kannst. Auch das Radio will er nicht kommerzialisieren. „Da zahlst du dann auf einmal so viel AKM-Gebühren. Das soll ein Hobby bleiben. Ich bin auch genervt und angewidert von der Werbung, von der man tagtächlich bombardiert wird. Ich mach das gern und auch für mich. Wenn ich einmal so weit bin, dass ich sage, dass ich das mit Werbung zumülle, dann lasse ich es lieber gleich bleiben.“
Der erste Kanal ist am weitesten ausgebaut und dort laufen Austropop, Oldies und Schlager. Am zweiten Sender wollte er ursprünglich etwas anderes machen, aber dann „bin ich draufgekommen, dass Volksmusik eine Marktlücke ist. Ich höre das auch selber nicht ungern. Aber nicht Andreas Gabalier, sondern echte mit Blasmusik—was man eben heute nicht mehr so hört.“ Der Kanal hat auch die meisten Zugriffe. „Das war sicher der richtige Riecher.“ Am dritten Sender gibt es eher moderne Sachen. Unter der Woche Sachen aus den 90igern und am Wochenende immer das aktuelle Zeugs. Dann gibt es noch den Premiumkanal, der ist aber mehr ein Promotionkanal für seine Eigenproduktionen. Es ist auch eine eigene App geplant, damit man sich das auch auf dem Smartphone anhören kann. „Das Internetradio wird ja immer populärer“, meint er und ich muss mir ein bisschen das Lachen verkneifen, aber hey, unrecht hat er ja trotzdem nicht.
Nach zwei Stunden ist unser Gespräch zu Ende. Wir mussten es immer wieder abbrechen, weil eine neue Fahrt anstand. Als ich über das stehende Tagada zur anderen Seite zum Ausgang gehe, sagt er zu mir noch durchs Mikro: „Ah. Neue Geschäftsidee. Einmal übers Tagada laufen ein Euro.“ Ich mag zwar lustige Orte nicht, dafür unlustige Witze. Übrigens: Die tagada.at-Seite hat er natürlich auch selbst programmiert. „Die Seite schaut so aus wie Facebook, ist aber was Eigenständiges.“ Das Foto will ich euch nicht entgehen lassen:
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