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Wie Faschisten versuchen, sich durch “Trumpwave” und “Fashwave” elektronische Musik anzueignen

Letztes Jahr im Februar berichtete eine Seite namens Rave News, dass führende Vaporwave-Produzenten im kanadischen Montreal zu einer Krisensitzung zusammengekommen seien, um über den “schleichenden Faschismus” in der Szene zu sprechen. Vaporwave, ein elektronisches Subgenre, das in den frühen 2010ern irgendwo im Internet entstand, lässt sich wohl am besten als postapokalyptische Kaufhausmusik beschreiben. Produzenten wie Macintosh Plus und Saint Pepsi (jetzt Skylar Spence) vermischen Muzak, Smooth Jazz und veraltete Adult Contemporary zu lethargisch-wabernden Soundscapes. Es war ein tendenziell progressives Genre, das die Konsumkultur zu persiflieren schien. “Ich bin immer davon ausgegangen, dass durch meine Arbeit klar ist, dass ich eher links stehe”, so Vaporwave-Vorreiterin Ramona Xavier, die Frau hinter Macintosh Plus, gegenüber THUMP.

Doch jetzt zieht Vaporwave laut Rave News komischerweise Faschisten an.

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Es dauerte nicht lange und die Kommentarspalte unter dem Artikel war voll von Nazis, die ihr Interesse für Vaporwave verteidigten. “Die Nationalsozialisten zur Zeit von Hitler waren große Fans von Richard Wagner”, schrieb einer. “Aber in modernen Zeiten ist es nur angemessen, dass wir uns moderner Musik zuwenden.” Es gab nur einen Haken: Der Artikel war nicht echt – wie alle Artikel auf Rave News Fake News sind. Ein antifaschistisches Vaporwave-Treffen hatte es nie gegeben.

“Unsere Seelen sind von diesen Klängen umhüllt.” – Andrew Anglin, Gründer der führenden Neonazi-Seite Daily Stormer

Auch wenn nicht ganz klar war, warum die Postillion-ähnliche Seite den Artikel gepostet hatte, Rave News hatte bewusst oder unbewusst in ein Wespennest gestochen. Auf SoundCloud und Bandcamp hatten sich selbsternannte Faschisten tatsächlich Vaporwave und Synthwave angeeignet – letzteres ist ein Genre, das nostalgisch die Soundtracks alter Computerspiele wie Sonic the Hedgehog und 80er-Jahre-Filme wie Blade Runner und Halloween aufwärmt. Die modernen Faschisten hatten beiden Genres ein Hakenkreuz verpasst und alles miteinander vermengt, um daraus eine neuartige Subkultur namens Fashwave (das “Fash” steht natürlich für “fascist”) und ein weiteres Mikrogenre namens Trumpwave zu kreieren. Die Ästhetik lässt sich in beiden Fällen als Triumph des Willens meets Tron zusammenfassen.

Fashwave ist fast immer instrumental und eigentlich komplett unoriginell. Gäbe es nicht die auffälligen Tracktitel – “Demographic Decline“, “Team White“, “Death to Traitors“, um nur ein paar Songtitel von Fashwave-Musiker Xurious aufzuzählen – könntest du Fashwave und die Genres, bei denen es sich bedient, kaum auseinanderhalten. Gelegentlich unterbricht ein Track mal seine ausschweifenden Synth-Harmonien oder sein 8-Bit-Geblubber für ein Sample aus einer Agitation Hitlers oder Trumpreden werden so zusammengeschnitten sind, dass er poltert: “Die Helden sind diejenigen, die Juden töten!” Das Resultat ist ein kitschig-theatralischer Albtraum – als würde Jane Fonda ihr 80er-Jahre-Fitnessprogramm beim Reichsparteitag vorführen.

Fashwave ist zur Propaganda für die als “Alt-Right” bekannte neofaschistische Bewegung geworden. Die Bezeichnung entstand Anfang der 2010er am Rand der extremen amerikanischen Rechten. Anhänger dieser losen Bewegung lehnen “politische Korrektheit”, Handel, Immigration, den Islam, Feminismus, die Linke, “Globalismus” und den Konservatismus des Establishments ab – was mehr oder weniger auch die Ziele von Trump und, seit seinem Amtsantritt, die der Republikaner sind. Wie der Faschismus der letzten Jahrzehnte ist die Alt-Right-Bewegung voller Widersprüche. Viele Anhänger leugnen Rassismus, Homophobie und Antisemitismus. Doch das zugrundeliegende Motiv entspricht immer noch dem Rahmen, dem es entsprang: weißer Ethno-Nationalismus und Autoritarismus.

Durch die Wahl Trumps und die Verbreitung rechtsextremer Parteien in Europa ist die alternative Reche auf dem Vormarsch. Wie ihre deutschen und italienischen faschistischen Vorboten will sie die Popkultur infiltrieren und erneuern. Und Fashwave – mit ihrer klanglichen Harmlosigkeit und dem weitgehenden Fehlen von Texten – ist die erste faschistische Musik, die angenehm genug für die Ohren ist, um beim Mainstream Anklang zu finden.

Auf dem 4Chan-Kanal /pol/, dem inoffiziellen Hauptquartier der Alt-Right bezeichnen User Fashwave offen als “Falle, um unsere Ideen freundlich und zugänglich erscheinen zu lassen”, wie ein User schrieb. Ein anderer warnte, dass die Slogans der Artworks von Fashwave für verbreiteteren Konsum abgeschwächt werden müssten: “Vorsicht Leute, der Ausdruck muss verdeckt und vage sein, keine direkten ‘VERGAST DIE JUDEN-/pol/-Memes’. Versucht, subtil zu sein.”

“Ich denke, es ist toll, dass wir unsere eigene Kultur haben, auch wenn sie klein ist.” – Richard Spencer, Gallionsfigur der Alt-Right

Mit ihren blechernen Klängen und einer begrenzten Reichweite ist Fashwave allerdings weit davon entfernt, eine wirkliche kulturelle Kraft zu entwickeln und wird vielleicht bald schon wieder verschwunden sein. Bis Buzzfeed die Musik mit einem Artikel im Dezember ins Bewusstsein des Mainstreams brachte, war sie außerhalb von Alt-Right-Kreisen praktisch unbekannt. Es gibt lediglich eine Handvoll nennenswerter Fahswave-Künstler und diese treten nichts als Headliner bei faschistischen Raves oder Militärparaden auf. Stattdessen beackern sie die Tiefen des Internets und bekommen für jeden Track ein paar tausend Klicks. Die beiden größten Hits des führenden Fashwave-Produzenten Cyber Nazi, “Right Wing Death Squads” und “Galactic Lebensraum”, haben über 50.000 YouTube-Klicks gesammelt – respektabel, aber sicher kein kultureller Reichstagsbrand.

Trotzdem haben die Torwächter der Alt-Right Fashwave als den charakteristischen Sound der Bewegung übernommen. Black Sun Radio, ein Internet-Neonazi-Sender, spielt sowohl Fashwave als auch nicht-faschistischen Synthwave. Andrew Anglin, Gründer der führenden Neonazi-Seite Daily Stormer, taufte Synthwave letztes Jahr als “Soundtrack der Alt-Right” und pries sie aufgrund ihres scheinbaren Fehlens afrikanischer rhythmischer Einflüsse als die “weißeste Musik aller Zeiten”. Ein regelmäßiges Feature nennt sich “Fashwave Fridays” und beinhaltet eine Synthwave-Playlist mit typischer Synthwave-Bildsprache wie 80er-Frauen in grellem Spandex und Retro-Sportwagen. “Die Musik ist der Geist der Kindheiten von Millenials”, schrieb Anglin auf Daily Stormer. “Unsere Seelen sind von diesen Klängen umhüllt.”

Das Alt-Right-Logo von Richard Spence

Richard Spencer – Präsident der weißen Nationalistengruppe National Policy Institute und gemeinhin als Erfinder des Begriffs “Alt-Right” bekannt – sagte per Telefon gegenüber THUMP, er möge Fashwave. “Manchmal, wenn ich Geschäfte erledige, eifrige Arbeit, mache ich Xurious oder Cyber Nazi bei SoundCloud oder YouTube an und hör es mir einfach an”, so der rassistische Autor und Verleger, der einen ans Dritte Reich erinnernden Haarschnitt trägt. “Ich denke, es ist toll, dass wir unsere eigene Kultur haben, auch wenn sie klein ist.” (Spencer wurde vor Kurzem ein weltbekanntes Meme, als er während eines Interviews für den amerikanischen Sender ABC von einem Anarchisten ins Gesicht geboxt wurde. Das Video davon wurde mit verschiedenen bekannten Songs hinterlegt, wie zum Beispiel “Sandstorm” und führte zum Erfolg des Hashtags #punchanazi.)

Spencer hat die Ästhetik von Fashwave in die Markenbildung der Alt-Right einfließen lassen. Im November stellte Spencer bei einer Konferenz des National Policy Institute in Washington ein Logo für die Bewegung vor. Die geometrischen Buchstaben “A” und “R” vor einem Sternenhimmel sahen aus wie Buchstaben aus einer fremdartigen Sprache und Spencer sagte per Mikrofon, dass das Design von “Synthwave-Nostalgie” beeinflusst sei.

Die Visuals der Fashwave, die auf Twitter und 4chan die Runde machen, sind ebenso essentiell wie die Musik. Typische Vaporwave-Popart – wie Windows-95-Logos, japanische Charaktere und griechisch-römische Statuen vor pastell- oder neonfarbenen Hintergründen – vermischt sich mit Nazi-Ikonografie, zum Beispiel Hitler in einem Hawaiihemd. Gleichzeitig werden die neonbeleuchteten Stadtbilder der Synthwave-Visuals um rotäugige Cyborg-Todeskommandos erweitert.

In einer Email erklärte Cyber Nazi gegenüber THUMP, dass Fashwave der “direkte Erbe” des Futurismus sei, der Avantgarde-Bewegung der 1910er-Jahre, die sich dem italienischen Faschismus anschloss. Die Futuristen jubelten über technologische Fortschritte wie Züge, Automobile und elektrisches Licht sowie die Gewalt der Schwerindustrie und des Krieges. In ähnlicher Weise schrieb Cyber Nazi: “Wir haben das Internet und Computer”. In gewisser Hinsicht spiegelt Fashwave eine Art futuristisches Projekt der Gegenwart wider: Eine globale kybernetische Subkultur, die auf Millenials abzielt, propagiert von Memes wie Pepe the Frog und auf Seiten wie 4chan und der neuen Alternative zu Twitter, Gab, zu finden. In Synthwave und Vaporwave – Genres, die wie die Alt-Right hauptsächlich im Internet entstanden – fand die Bewegung einen natürlichen Partner.

Stile wie Punk, Folk und Metal – musikalische Traditionen mit einer langen Geschichte der Aneignung durch extrem rechte Ideologien – haben Fashwave-Fans mittlerweile hinter sich gelassen. “Es ist unmöglich, irgendetwas mit [diesen] alten und ausgedienten Genres aufzubauen”, so Cyber Nazi gegenüber THUMP. “Wir sind junge Leute, die nichts mit den Skinhead-Gangs, Hooligans oder KKK-Freimaurern zu tun haben.” Diese Aussage bedeutet allerdings nicht, dass Fashwave für einen freundlicheren Faschismus steht. In einem Interview auf Right Stuff Radio erwähnte Cyber Nazi zwanglos seinen Hass auf “Nigger” und “Sandnigger”.

Vaporwave und Synthwave sind nicht die ersten elektronischen Musikgenres, die sich Faschisten angeeignet haben. Tatsächlich sind sie nur die letzten in einer langen Geschichte von vereinnahmten elektronischen Klängen, die ihre Wurzeln im frühen 20. Jahrhundert hat.

“Es ist unmöglich, irgendetwas mit alten und ausgedienten Genres aufzubauen” – Cyber Nazi, einer der bekanntesten Fashwave-Produzenten

In den 1910ern rief der futuristische Denker Luigi Russolo zu einer explosiven “Kunst der Geräusche” für das industrielle Zeitalter auf. Dieser Herausforderung stellten sich in den 1970ern frühe Industrial- und Noise-Musiker bewusst. Laut Assimilate: A Critical History of Industrial Music von S. Alexander Reed zielten Pioniere wie Spahn Ranch, Nurse with Wound und Pornotanz darauf ab, den unsichtbaren Totalitarismus der Gesellschaften zu kritisieren, indem sie ihn als brutalen Krach beschwören. Doch der nihilistische Blickwinkel und die martialischen Untertöne des Industrial – sowie die Verwendung faschistischer Symbolik und Aufmachung zur Schockwirkung – zog auch Neonazi-Fans an. Ein Beispiel für das, was Reed als “oft absichtliche Sprache der Mehrdeutigkeit” im Industrial bezeichnet, kann bei Laibach gefunden werden, einer slowenischen Gruppe in Lederbekleidung, deren Name die deutsche Bezeichnung der Landeshauptstadt ist. Seit den 80ern verkörpert die Gruppe so überzeugend eine vage stalinistische Ästhetik, dass sie 2015 in Pjöngjang in Nordkorea auftreten durfte.

Als in den 70ern Industrial-Musik aufkam, legten Kraftwerk in Deutschland gerade die Grundlagen für elektronische Popmusik. Die Gruppe bestand immer darauf, dass ihre künstlerische Vision eines aufziehenden kybernetischen Zeitalters eine Fortführung des radikalen Modernismus des 20er-Jahre-Deutschlands der Weimarer Republik war und keine Hommage an die Nazizeit. Doch Kraftwerks roboterähnliches Auftreten erinnerte an Soldaten, die im Gleichschritt marschieren, und das Cover ihres 1975er-Albums Radio-Aktivität zeigte einen Volksempfänger – das Radio, das die Nazis bekanntlich für ihre Propaganda nutzten. Diese Tatsache verleitete Genosavior, einen der Künstler aus der Szene, dazu, Kraftwerk auf Twitter als einen “frühen #FashWave-Prototyp” zu bezeichnen. Ein Alt-Right-Meme bezeichnet sie sogar als “Fashwerk“.

Spencer selbst nennt Depeche Mode und New Order als seine Lieblingsbands – zwei Gruppen, die praktisch synonym mit den 80ern sind, dem Jahrzehnt, in dem das Sprachrohr der Alt-Right-Bewegung aufwuchs. Doch anders als die meisten anderen Fans sieht er einen faschistischen Glanz auf den eisigen Synthie-Flächen der New-Wave-Pioniere. Oberflächlich betrachtet lässt sich erkennen, woher er diese Vorstellung haben mag. Laut einer Biografie der Band lässt sich der Name New Order auf einen Begriff der Situationisten zurückführen, ein französisches Künstlerkollektiv der Nachkriegszeit, das aus anti-autoritären Marxisten bestand. Doch “New Order” war auch der Begriff Hitlers für sein Programm einer neuen Weltordnung. Der Vorgänger der Band, Joy Division, bediente sich für den Namen bei den Bordellen von KZs. Außerdem war auf dem Cover der Debüt-EP der Band aus dem Jahr 1978, An Ideal for Living, eine Zeichnung eines Trommlers der Hitlerjugend zu sehen. Zum Entsetzen der Band wurde von vielen Skinheads missverstanden, wo die Band herkam, und sie tauchten bei Konzerten von Joy Division auf.

Spencer sagte per Telefon gegenüber THUMP, er dachte, dass New Order und die Bands der New Wave, die nach ihnen kamen, “bewusst oder unbewusst etwas Dunkleres, Ernsthafteres, vielleicht Autoritäreres kanalisierten”.

Zumindest was New Order angeht hat er recht, auch wenn es kompliziert ist. Auf der einen Seite kritisierte die Band Faschismus als wachsende Bedrohung im Großbritannien der späten 70er, als der Einfluss des Empires abnahm und industrieller Verfall eine stagnierte weiße Arbeiterklasse radikalisiert hatten (klingt bekannt?). Auf der anderen Seite beschreibt Simon Reynolds in seinem Buch Rip It Up and Start Again: Postpunk 1978-1984, dass Sänger Bernard Sumner “begeistert von der Schönheit (der Kunst, der Architektur, dem Design, selbst den Uniformen) [war], die trotz ‘all des Hasses und der Dominanz’ entstand.” Sein Bandkollege Peter Hook, so schreibt Reynolds, gesteht den dunklen Reiz, mit faschistischer Ästhetik zu flirten. “Wir dachten, dass es ein sehr, sehr starkes Gefühl ist”, so Hook.

Diese faschistische Aufladung, die in den 70ern und 80ern so intensiv von New Order gefühlt wurde, findet nun ungeniert ihren Weg in die Alt-Right und kommt bei Fashwave voll zum Ausdruck.

“Indem sie eine einfach zu verdauende Botschaft mit dem Soundtrack unserer Jugend verbindet, versucht die Alt-Right unser kritisches Denken zu untergraben und direkt unser emotionales Selbst anzusprechen.” – Stefanie Franciotti AKA Sleep ∞ Over

Doch Fashwave bedient sich noch einer anderen Tradition moderner Musik – der von Vaporwaves Rohmaterial, Muzak, die wiederum selbst vom Geist des Faschismus verfolgt wird.

Im September 1934 betrat die National Fascist Militia Band – eine italienische Blaskapelle, die von Benito Mussolini zusammengestellt wurde – die New Yorker Studios der neu gegründeten Firma Muzak und nahm eine der ersten Muzak-Sessions überhaupt auf. Das Set umfasste 25 Songs, unter anderem auch ein italienisches Liedchen namens “March on Rome (Anthem for a Young Fascist)” und die amerikanische Nationalhymne “The Star-Spangled Banner”. Die Firma Muzak brachte die Klänge der National Fascist Militia Band in Hotel-Lobbys, Restaurants und Häuser und das unter einem abgeschwächten Pseudonym: “The Pan-American Brass Band”.

Die Firma Muzak war zwar selbst keine faschistische Einrichtung, doch ihre Verwendung von Easy-Listening-Musik aus der Konserve für Einkaufende und Arbeitende hatte schonungslos kriegerische Wurzeln. Ihr Gründer, Major General George Owen Squier, war oberster Signaloffizier der USA im Ersten Weltkrieg und verantwortlich für das Kommunikationsnetzwerk des Militärs. Die Firma patentierte die sogenannte “Stimulus Progression” – Playlisten, die darauf abzielten, die Energie und die Moral der Arbeiter über den Tag zu fördern. Dies erfuhr während des Zweiten Weltkriegs in Rüstungsfabriken flächendeckende Nutzung. Laut Elevator Music: A Surreal History, war Muzak zur Hochphase in den 60ern und 70ern allgegenwärtig: Sie schallte bei der Amtseinführung von Nixon aus Megafonen, beruhigte Vieh im Stall und Astronauten auf ihrem Weg zum Mond und sie hielt Raketen-Bediener in nuklearen Untergrundsilos wach(-sam). Es schien fast wie ein Seitenhieb an die Kritiker, die Muzak (eine Zusammensetzung aus Kodak und Music) als Instrument der sozialen Kontrolle bezeichneten, dass die Muzak Corporation sich selbst als “System der Sicherheit für die 70er” und als “Totales Kommunikationssystem” brandmarkte.

Beispiel für Fashwave-Artwork: Eine neonfarbene Stadtsilhouette

Infolge der Wirtschaftskrise meldete die Muzak Corporation 2009 Insolvenz an. (Anschließend wurde sie aufgekauft, umbenannt und neu belebt, mittlerweile kreiert sie maßgeschneiderte Playlists aus bereits existierenden Songs für die Markenbildung von Geschäften.) Ungefähr zur gleichen Zeit begannen linksorientierte experimentelle Elektronik-Künstler wie Daniel Lopatin, James Ferraro und Ramona Xavier, die ausdruckslose klangliche Atmosphäre des Kapitalismus, wie Muzak und weitgehend vergessene Pop- und Smooth-Jazz-Nummern, zu vermischen, woraus etwas entstand, das später als Vaporwave bekannt werden sollte.

Lopatin, am bekanntesten durch seine Arbeit als Oneohtrix Point Never, nahm sich 2009 für eine Compilation mit dem Titel Eccojams Vol. 1 unter dem Pseudonym Chuck Person alten Popsongs an, aus denen er Ausschnitte loopte und verlangsamte. Ramona Xaviers Album Floral Shoppe aus dem Jahr 2011 verzerrte 80er-Pop und alten Smooth Jazz. Ihre Retro-Netzkunst, die als Kitsch präsentiert wird, ist zur Charakteristik von Vaporwave geworden und wurde später von Künstlern wie 2 8 1 4 und Death’s Dynamic Shroud.wmv erweitert und neu interpretiert. James Ferraros Far Side Virtual, das im selben Jahr veröffentlicht wurde, fügte billige MIDI-Presets, den Login-Sound von Skype und andere Teile demonstrativ zeitgenössischer digitaler Überbleibsel zu einem kratzenden Faux-Muzak-Orchester zusammen. Auch wenn der absurd vergnügte Tone des Projekts offen lässt, ob Ferraros Vision eines Lebens im digitalen Zeitalter utopisch, dystopisch oder keines von beidem ist, diese Ambiguität und vielleicht auch Ambivalenz hatte in der Musik der Vaporwave-Szene, die er inspirierte, Fortbestand.

In einem Essay von 2011, der bei der Definition des Genres half, fragte Adam Harper: “Ist [Vaporwave] eine Kritik am Kapitalismus oder eine Kapitulation davor?” “Beides und nichts davon”, fuhr er fort. “Diese Musiker können als sarkastische Antikapitalisten interpretiert werden, die die Lügen und Schlüpfrigkeiten der modernen Techno-Kultur und ihrer Repräsentationen offenlegen, oder aber als ihre willigen Vermittler, die bei jeder neuen Welle delikater Klänge vor Verzückung zittern.”

Die Entwicklung von Vaporwave lief parallel zu der von Synthwave, die Mitte der 2000er aufkam und die 80er-Synthie-Soundtracks von Komponisten wie John Carpenter, Vangelis und Tangerine Dream aufgriff. Innerhalb der letzten zwei Jahre ist die semi-ironische Nostalgie von Synthwave und Vaporwave ihren subkulturellen Wurzeln entwachsen und in den Mainstream gesickert – ein Prozess, der dadurch verdeutlicht wird, dass Vaporwave im Branding von MTV verwendet wurde sowie die Beliebtheit des Soundtracks zur erfolgreichen Netflix-Serie Stranger Things von der Synthwave-Gruppe S U R V I V E aus Austin.

Zur gleichen Zeit haben Faschisten diese Retromanie umgekehrt und die ironische Distanz in einen Strudel aus Nostalgie verwandelt, zum Beispiel hinsichtlich der schlimmsten Elemente der Reagan-Ära. Laut Spencer basiert die Faszination der Alt-Right mit den 80ern darauf, dass sie das Jahrzehnt “als glückliche Zeit, als letzte Tage des weißen Amerikas” sehen. Fashwave verbindet die generalisierte 80er-Nostalgie der Popkultur mit der rassistischen Ideologie der Alt-Right. Der “eine verbindende Faktor” des weißen Nationalismus, so erklärte es ein Alt-Right-Anhänger bei Twitter, ist “ein Glaube an die Überlegenheit der 1980er.” Dorthin zurückzukehren sei das Ziel.

Ein Vaporwave-Video des Satirekünstlers Mike Diva

Stefanie Franciotti, die unter dem Pseudonym Sleep ∞ Over aufnimmt, entstammt derselben Synthesizer-basierten Szene in Austin, Texas, aus der auch S U R V I V E kommen. Sie ist entschieden anti-faschistisch und beschrieb Fashwave gegenüber THUMP als “Nostalgie, die zu einer Waffe gemacht wird”.

“Indem sie eine einfach zu verdauende Botschaft mit dem Soundtrack unserer Jugend verbindet”, so sagt sie, “versucht die Alt-Right unser kritisches Denken zu untergraben und direkt unser emotionales Selbst anzusprechen.”

Die 80er sind sicherlich zurück, jedoch mit einigen Modifikationen. Das steife Grinsen von Reagan ist zu einem finsteren Blick verkommen und die “Shining City on a Hill” wird bald von einer riesigen Mauer umgeben sein. Im Kern des ganzen befindet sich Trump, eine lebende Zeitkapsel an kapitalistischen Exzessen und Protz der 80er und daher das ideale Thema für Fashwave. “Trumpwave“, ein Track des Synthwave-Künstlers iamMANOLIS wird von Videomaterial hinterlegt, in dem ein jüngerer Trump beim Wrestling zu sehen ist, wie er Frauen anmacht und für einen Werbespot von Pizza Hut Pizza mit Käserand isst. Unter dem Video kommentierte ein YouTube-Nutzer: “Wenn du all diese alten Videos siehst, ergibt es alles Sinn. Es ist nicht so, dass Trump seltsam ist und wir uns in Richtung einer Art Parodie einer Gesellschaft entwickeln. Es ist so, dass wir bereits in einer Parodie leben, Trump bringt die Vernunft der guten alten Zeit zurück.” Ein anderer schrieb einfach: “The Donald ist hier. Ich kann den Kapitalismus spüren! <3”.

“Trumpwave” steht exemplarisch für das gleichnamige Genre. Trumpave und Fashwave teilen sich die Zuhörerschaft aus der Alt-Right und mindestens einen Produzenten – Cyber Nazi. Doch der Fashwave-Ableger vereinnahmt hauptsächlich Vaporwave und hebt sowohl durch Samples als auch Videoclips “The Donald” selbst hervor. In den Trumpwave-Songs wird er als moderner Erbe der mythologisierten 80er präsentiert, einem Jahrzehnt, das für Rassenreinheit und ungezügelten Kapitalismus stehen soll. “Ivanka Vaporwave“, eine Produktion eines Alt-Right-YouTube-Channels, verlangsamt den Song “I’m Falling” von Cosmat Angels aus dem Jahr 1985 zu alten Aufnahmen von Trumps Tochter Ivanka, die als junge Teenagerin modelt. “Take Back Our Future” von Cyber Nazi untermalt sanfte Muzak mit Archivaufnahmen des New York der frühen 90er an einem sonnigen Tag und Trump, der merkwürdig bei Saturday Night Live tanzt.

Trumpwave nutzt eine Schwachstelle von Vaporwave aus: dessen Ambivalenz bezüglich der kulturellen Hinterlassenschaften, die sie inspiriert haben. Diese vorsichtige Spannung zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit machte einen Teil des Reizes von Vaporwave aus – sie flirtete mit der impliziten Anstößigkeit, das aggressiv kommerzielle Ausgangsmaterial zu wertzuschätzen. Doch diese Ambiguität ermöglichte der Alt-Right auf einfache Weise, es zu vereinnahmen, indem es sich der Ironie und Verspieltheit entledigt – indem es das Ganze wörtlich nimmt, als Glorifizierung des Kapitalismus. Als die Synthwave-Künstler 80er-Filme wie Blade Runner, Robocop und Terminator ausgruben, verpackten sie auch die Musik im fatalistischen Retrofuturismus dieses Jahrzehnts. Ein Blick auf das Artwork von Cyber Nazi – mit seinen Cyborg-Cops mit hohen Stiefeln, die von Tür zu Tür gehen – zeigt, dass für Faschisten diese Dystopie eine Utopie ist. Fashwave sieht die düsteren Sci-Fi-Aussichten der 80er als das Paradies an.

Kein Klang hat etwas grundsätzlich faschistisches – es dreht sich alles um den Kontext. Doch die Verwendung von Vaporwave und Synthwave seitens der Alt-Right beweist, dass Faschismus die Niederlage der Achsenmächte überlebt hat und seine eigene Kultur ausbrütet, auch wenn es jegliche politische Kraft verloren hat. New Order, Kraftwerk und viele andere sind einer anhaltenden Faszination mit faschistischer Ästhetik nachgegangen. Unterdessen entstanden im Schatten von Genres wie Industrial, Punk, Metal und Trance Neonazi-Subkulturen. Fashwave ist nur die neuste Form einer langen Reihe von faschistischen Vereinnahmungen, die sich über Musik hinaus erstreckt: Die Swastika der Nazis ist bekanntlich eine Umkehrung eines buddhistischen Symbols. Doch anders als andere Genres erreicht uns Fashwave zu einer Zeit, in der der Faschismus selbst zum ersten Mal seit den 30ern eine globale Kraft entwickelt. Sowohl die Musik als auch die Visuals können wie eine Vorahnung auf die Zukunft erscheinen. Indem es eine Nostalgie für die 80er und eine Liebe für den Kapitalismus durch das Prisma Trump bricht, projiziert Fashwave das Bild einer aufziehenden Dystopie, die jeden Tag plausibler wird.

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