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Bundestagswahl 2017

So entlarvend sind die Wahlspots, wenn man die Tonspuren austauscht

Merkel-Watte gegen Schulz-Flausch. Diese Clips zeigen, was an diesem Wahlkampf schiefläuft.
imago: APP-Photo [bearbeitet]

Am vergangenen Montag gab Martin Schulz eine schräge Pressekonferenz. Auf die Frage, ob er eine Koalition mit der Union eingehen würde, antwortete er: "Ich strebe an, Bundeskanzler zu werden. Wenn Frau Merkel in mein Kabinett eintreten will, kann sie das gerne als Vizekanzlerin tun."

Schulz wollte lustig sein. Dabei trifft er das Problem dieses Wahlkampfs im Kern. Merkel und er haben sich so lieb, dass sie nichts dagegen hätten, gemeinsam Chefposten in der nächsten Regierung zu übernehmen. Das passt. Der Kampf um das Kanzleramt wirkt ohnehin, als wäre er seit Wochen gelaufen.

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Bereits im TV-Duell Anfang September nickten die Kanzlerin und ihr Herausforderer fleißig, während der andere sprach. Schulz attackierte Merkel zwar bei der Rente und dem EU-Beitritt der Türkei. Aber insgesamt wirkte es, als wolle es sich Schulz nicht mit seiner zukünftigen Chefin verscherzen.

Die aktuellen Wahlwerbespots der beiden Parteien sind Symptome für einen Wahlkampf ohne Streit: eine Kombination aus Null-Sätzen mit Null-Bildern. Wir konnten sie ohne große Mühe remixen. Wir mussten nur die Tonspuren austauschen – schon erscheinen sie wie Werbeclips für den politischen Gegner: Merkel preist die SPD an, Schulz die CDU.

Remix 1: CDUxMartin Schulz

Zu Beginn märchenonkelt Martin Schulz: "Wenn Sie mich fragen, was ich für Deutschland erreichen will, dann habe ich ein klares Bild vor Augen." Er möchte zum Beispiel Menschen sehen, die von ihrer Arbeit leben können. Kein Problem: Der CDU-Spot zeigt ihm einen lachenden Milchbauern, einen mehlwerfenden Bäcker und einen Schreiner, der konzentriert Holz zersägt und sich – offensichtlich – auf seine Gehaltsabrechnung freuen darf.

Martin Schulz möchte auch "Menschen sehen, deren Anstrengungen belohnt werden". Im Clip sehen wir eine glückliche Familie, die einer Schildkröte beim Schwimmen in einem riesigen Aquarium zuschaut. Die Entdeckung der Langsamkeit, eine passende Metapher für Merkels Wahlkampf – und die Reaktionen des Kanzlerkandidaten.

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Remix 2: SPDxAngela Merkel

Bilder von Kinderkulleraugen eröffnen den SPD-Clip und Angela Merkel säuselt: "In was für einem Deutschland wirst du einmal leben?" Merkel buchstabiert aus, was sie sich unter #fedidwgugl vorstellt und der Clip liefert die passenden Bilder. Beim Stichwort "Gute Arbeit" etwa fuchteln Architekten in der Landschaft herum und zwei Männer tragen eine Badewanne.

Merkel sagt, sie möchte ein Deutschland, "in wir gemeinsam gegen Hass eintreten". Dazu gucken noch mehr Kinder mit ihren Kulleraugen, sie schultern ihre Cellos und Geigen und rennen an der Hand ihrer Väter die Straße herunter. Wer könnte hassfreier sein als diese gleichberechtigt erzogenen Kinder vom Musik-Gymnasium?

Der schönste Moment ist aber, als Merkel ein Land fordert, "das seine europäischen Werte verteidigt" und dazu Martin Schulz aus einem Auto springt. Am Ende des Clips steigt ein Luftballon in den Himmel, als sei er gefüllt mit der heißen Luft politischer Phrasen.

Der Wähler soll entscheiden, was er kuscheliger findet: Merkel-Watte oder Schulz-Flausch.

Die Remixe zeigen, dass sowohl Schulz als auch Merkel die Wähler mit einem gutem Gefühl einlullen wollen. Sie versichern dem Wähler, dass es Deutschland gut geht. Merkel-Watte gegen Schulz-Flausch. Der Wähler muss sich nur noch entscheiden, mit wem er in Zukunft lieber kuscheln will.

Angela Merkel lebt ohnehin mit dem Vorwurf, beziehungsweise dem Kompliment, die erste Unions-Kanzlerin zu sein, die sozialdemokratische Politik macht: Elternzeit, Frauenquote, Mindestlohn – alles ursprüngliche SPD-Projekte, die sich Angela Merkel einverleibt hat.

Martin Schulz hingegen muss sich im Wahlkampf ein bisschen fühlen, als suche er eine Wohnung für seinen Umzug aus Brüssel ins politische Berlin. Wenn er endlich bei seinem neuen Zuhause angekommen ist, kann er aber nur noch Angela Merkel dabei zuschauen, wie sie gerade den Mietvertrag unterschreibt.

Wo Schulz vorstößt, zieht Merkel nach. Die Ehe für Alle hätte ein zentrales Wahlkampfthema der SPD werden können. Merkel räumte es ab. Gegen ihren Willen zwar, doch wenigstens konnte ihr Schulz mit diesem Thema nicht mehr gefährlich werden. Wenn Martin Schulz bei seiner politischen Wohnungssuche mit einer astreinen Schufa-Auskunft wedelt, hat Angela Merkel eine Bürgschaft aus Fort Knox.

Wer eine Wohnung sucht, benimmt sich am besten wie jemand, der schon eine Wohnung hat. Also versucht Martin Schulz jetzt nur noch, einen "ordentlichen Eindruck" zu hinterlassen. Der aktuelle Wahlwerbespot seiner SPD verspricht: "Kanzlerformat". Es wirkt jedoch eher, als könne sich Schulz einzig noch nicht entschieden, ob er in Merkels WG als Untermieter wohnen will oder als meckernder Nachbar in die Opposition geht. Nur eines ist sicher: Hauptmieter wird er wohl nicht.

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