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Als Österreichs Justiz gegen die schwarze Community ausholte und daraus ein Justizskandal wurde

Im Rahmen der „Operation Spring" wurde ein mutmaßlicher schwarzer Dealerring ohne stichhaltige Beweise zu insgesamt über 100 Jahren Gefängnis verurteilt.

Screenshot aus dem Trailer zur Dokumentation Operation Spring via YouTube

Im letzten Jahr wurde uns immer wieder ein wenig flau im Magen, als wir die Prozesse um Josef S., Puber, den EKH-Überfall und Hüseyin beobachtet haben. Es wurde vermeintlich willkürlich Untersuchungshaft verhängt, Zeugen verwickelten sich in Widersprüche und ein Paragraf aus dem Mittelalter wurde herangezogen, um Menschen trotz berechtigter Zweifel zu verurteilen. Stimmen wurden laut, dass der österreichische Rechtsstaat in diesen Prozessen bewiesen hat, dass er neuerdings auf dem rechten Auge (überdurchschnittlich) blind ist.

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Viele Menschen, die gerade irgendwo zwischen Zwanzig und Dreißig sind, halten das für eine relativ neue Entwicklung, weil sie noch zu jung waren, als Ende der Neunziger einer der größten Justizskandale Österreichs einfach so passierte, ohne dass es zu einem größeren Aufschrei kam. Aber bereits damals zeichnete sich die Justiz dadurch aus, dass sie abstruse und bedenkliche Dinge von riesigem Ausmaß zuließ oder sogar forcierte—auch, wenn die österreichische Gesellschaft diese Tatsache erfolgreich verdrängt zu haben scheint.

In den Jahren 1999 und 2000 kam es zum „großen Lauschangriff". Damals wurden über hundert Menschen afroamerikanischer Herkunft beschuldigt, einem internationalen Drogenring anzugehören und fast ausnahmslos ohne stichhaltige Beweise und nach einer Vielzahl an absurden Verfahren ins Gefängnis gesteckt.

Der „große Lauschangriff" passierte unter dem Decknamen „Operation Spring" und es handelte sich dabei zum damaligen Zeitpunkt mit 850 beteiligten Polizisten um die größte Polizeiaktion der Zweiten Republik. Im Mai 1999 wurden also im Rahmen dieser Razzia österreichweit Wohnungen und Flüchtlingsheime—darunter auch Häuser von Ute Bock—gestürmt, weil man einen Drogendealerring ausheben wollte. Im Visier der Operation standen Menschen afrikanischer Herkunft, denen mit fragwürdigen Mitteln der Prozess gemacht wurde, aus dem sie im Nachhinein betrachtet unter keinen Umständen als Gewinner aussteigen konnten.

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Im Rahmen der Operation wurden über 100 Menschen verhaftet, obwohl bei Durchsuchungen keine großen Mengen an Drogen gefunden wurden. Bei den folgenden 140 Verhandlungen wurde den Verhafteten der Prozess gemacht, indem anonymisierte Kronzeugen vor Gericht aussagten. Während die vermummten Zeugen aussagten, mussten die Angeklagten den Gerichtssaal verlassen und die Operation nahm immer kafkaeskere Züge an. Heute ist eine völlig anonyme Aussage unter einer Maske nur in Ausnahmefällen zulässig—also wenn angenommen werden kann und muss, dass bei einer nicht anonymisierten Zeugenaussage das Leben der Person in ernster Gefahr ist—, was jedoch immer noch stark vom Einzelfall abhängig ist.

Laut Nina Horaczek, Reporterin beim Falter, wurde die Aktion damals weder vom Großteil der Medien, noch von der Bevölkerung hinterfragt, da es die gängige Meinung war, dass Schwarze nun mal Drogendealer sind. Horaczek war maßgeblich an der Recherche um die Operation beteiligt und hat sich intensiv mit den Umständen, unter denen die „Operation Spring" und die dazugehörigen Prozesse passiert sind, beschäftigt. Heute sagt sie zur Operation Spring: „Kritik an dieser Polizeiaktion gab es anfangs kaum, FPÖ und Kronen Zeitung haben gejubelt, auch der damalige Innenminister Karl Schlögl von der SPÖ verkaufte die Aktion als großen Erfolg. Es war ja schließlich der erste große Lauschangriff, der musste schöngeredet werden. Der Falter war eines der wenigen Medien, die diese Aktion kritisierten, vor allem auch die Gerichtsverfahren, in denen teilweise nicht einmal rechtsstaatliche Mindeststandards eingehalten wurden. Allerdings tat die Polizei damals auch einiges, damit nicht zu viele kritisch über die Verfahren berichteten. Zum Beispiel besetzte ein Trupp Polizeischüler gleich nach Aufsperren des Verhandlungssaales möglichst viele Sitzplätze, wodurch nur eine begrenzte Anzahl an Journalisten im Gerichtssaal Platz hatten. Bei diesen Prozessen tauchten dann ,Helmi' und ,Strumpfi' auf, anonyme Belastungszeugen, die völlig vermummt, teilweise mit Motorradhelm und Handschuhen vor Gericht auftraten, deren Identität die Verteidigung nicht erfahren durfte und die eine Unmenge Afrikaner belasteten, Drogendealer zu sein. Einer dieser vermummten Kronzeugen gab Jahre später zu, Menschen zu Unrecht beschuldigt zu haben, aber das half denen auch nichts mehr, da waren sie schon im Gefängnis oder abgeschoben."

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Im Vorfeld der Festnahmen wurde ein Lokal nahe der Universität in Wien als Haupttreffpunkt des Dealerrings ausgemacht und ab diesem Zeitpunkt wurden die Männer, die sich dort trafen, überwacht. Die nicht zu entziffernden Ton- und Bildaufnahmen sollten später als belastende Beweise in den zahlreichen Prozessen zugelassen und verwendet werden. Ein ziemlich anschauliches Beispiel für die Absurdität der Operation ist folgende Szene, die in der 2005 erschienenen Dokumentation über die Razzia Operation Spring vorkommt: Auf den Überwachungsaufnahmen war auf einem der Tische im Lokal etwas zu sehen, das aussah wie ein Buch. Man ging jedoch einfach ohne Anhaltspunkte davon aus, dass es sich dabei um eine VHS-Hülle mit Drogen darin handeln müsse.

Die Aufnahmen der Überwachung zeigten also lediglich Umrisse von Menschen, die an Tischen saßen und sich in einem Raum bewegten, Gesichter waren keine zu erkennen. Nichts desto trotz wurden die Angeklagten vor vollendete Tatsachen gestellt, da sie angeblich eindeutig auf den Aufnahmen zu sehen seien—auch, wenn sie sich darauf nicht einmal selbst erkannten.

Auf den vorgelegten Tonaufnahmen war zu hören, wie sich die Beschuldigten auf Igbo, ihrer Muttersprache, unterhielten. Ein Dolmetscher, der nicht vereidigt war, wie es vor Gericht eigentlich Pflicht ist, hat die Gesprächspassagen übersetzt—und zwar sinngemäß und nicht wortwörtlich, wie es vor Gericht außerdem erforderlich ist. Zudem hat er Passagen „übersetzt", die auf den Tonbändern überhaupt nicht zu hören waren und die Zuordnung der Stimmen zu den Personen hat er auch gleich selbst übernommen und diese Zuordnung wurde auch in weiterer Folge nicht überprüft. „Auch der Dolmetscher war eine Katastrophe. Der Mann wurde extra aus Deutschland geholt, konnte nur sehr schlecht Deutsch und hat teilweise völligen Blödsinn übersetzt. Eine idente Stelle aus dem Überwachungsprotokoll hat er bei der Polizei mit ,Wie viel hast du dem verkauft?' und vor Gericht mit ,Stadt aus Eisen' übersetzt. Die Gerichtsverhandlungen wirkten teilweise wie absurdes Theater, allerdings eines, das für viele junge Menschen viele Jahre Haft bedeutete.", erinnert sich Nina Horaczek.

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Besonders bezeichnend für den gesamten Fall ist eine Passage aus mehreren Urteilsverkündungen: Zahlreiche Angeklagte wurden aufgrund des „[…] Verkaufs einer nicht mehr feststellbaren, jedenfalls aber großen Menge Heroin und Kokain, an unbekannt gebliebenen Endabnehmer […]" zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Männer sollen also an unbekannten Orten, zu unbekannten Zeiten unbekannt große Mengen an Rauschgift an Unbekannte verkauft haben und wurden deswegen verurteilt—und das auf Grundlage von falschen Übersetzungen, nicht zuordenbaren Überwachungsaufnahmen und unbekannten Belastungszeugen.

Sehr zurückhaltend ausgedrückt kann man sagen, dass während der gesamten „Operation Spring" zumindest ein Menschenrecht mit Füßen getreten wurde, nämlich das Recht auf ein faires Verfahren. Als Angeklagter muss man im Rahmen dieses Menschenrechtes beispielsweise die Chance haben, sich gegen belastende Aussagen von Zeugen zu wehren und sich zu rechtfertigen. Ob das möglich ist, wenn die Zeugen vermummt auftreten und man während der Aussagen den Saal verlassen muss, um nichts mitzubekommen, ist fraglich. In diese Richtung geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dort sieht man das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, „wenn sich die Verurteilung hauptsächlich auf die Aussagen eines anonymen Zeugen stützt", wie damals in einer Äußerung klar gestellt wurde.

Auch Strafverteidiger Josef Phillip Bischof, der von der „Operation Spring" Betroffene verteidigte, sieht hier keine Chance auf ein faires Verfahren gegeben, wie er in einem Eintrag auf seiner Website klarstellt: „Wenn Zeugen anonym bleiben, wenn Dolmetscher mit Wollmützen auftreten, wenn Verteidiger keine wichtigen Fragen stellen dürfen, dann handelt es sich nicht um ein faires Verfahren."

Auf die Frage, ob eine solche Operation und ein derartiger Schlag gegen eine Bevölkerungsgruppe in dieser Art in Österreich noch einmal möglich wären, meint Horaczek: „Dass eine Personengruppe ohne stichhaltige Beweise auch heute noch für etwas verantwortlich gemacht werden kann, das glaube ich sofort. Da muss man sich nur ansehen, wie zum Beispiel der Antiislamismus und die Übergriffe auf Frauen, die ein Kopftuch tragen, zunehmen. Aber auch in der Justiz, im Polizeibereich und in der Politik hat man sich bis heute nicht offen mit den Fehlern bei der Operation Spring und den teilweise rassistischen Hintergründen auseinandergesetzt. Es hat nie eine kritische Aufarbeitung gegeben. Deshalb halte ich es auch nicht für ausgeschlossen, dass sich derartige Vorfälle in Österreich wiederholen können."

Unter dem Vorwand der Bekämpfung der organisierten Straßenkriminalität wurde im Rahmen der „Operation Spring" der Rechtsstaat bis zum Äußersten ausgereizt. Schwarze wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit und unter völlig willkürlicher Interpretation von Überwachungsaufnahmen und anderen vermeintlichen Beweismitteln verurteilt und von der österreichischen Justiz schikaniert.

Insgesamt wurden die Angeklagten zu über 100 Jahren Gefängnis verurteilt und die Operation gilt noch heute als das größte Justizverfahren gegen Afrikaner in Österreich und gezielter Schlag gegen die schwarze Community in Wien—der immense Schaden wurde jedoch bis heute nicht wieder gut gemacht.

Verena auf Twitter: @verenabgnr