Es geschah so schnell. Mein Vater kam ins Krankenhaus, zehn Tage später war er tot. Er hieß Leandro Resurreccion III und wurde 57 Jahre alt.
Es begann mit einem normalen Husten. Als Arzt hat mein Vater schnell reagiert und sich sofort von der Familie isoliert. Eigentlich arbeitete er als Kinderchirurg am Philippine General Hospital in Manila. Er hieß Leandro Resurreccion III. Nun blieb er tagelang in seinem Zimmer. Wir stellten ihm Essen vor die Tür und kommunizierten über Textnachrichten. Meine zwei Brüder, meine Schwester und ich dachten uns am Anfang nicht viel dabei. Eines Tages bat er mich, Atemmasken und Medizin zu kaufen, von der ich noch nie gehört hatte. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmt.
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Mein Vater war stark. Er lebte gesund und hatte keine Vorerkrankungen. Wir brachten ihn zum Röntgen ins Krankenhaus. Dort stellten sie eine Lungenentzündung fest.
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“Ich muss eingewiesen werden” – das war alles, was mir mein Vater nach der Auswertung der Röntgenbilder am Telefon sagte. Ob er infiziert war, wusste er da noch nicht. Das Testergebis würde erst in ein paar Tagen kommen. Mein Vater fuhr kurz nach Hause, um seine Sachen zu packen. Wie sich später herausstellte, hatte er so viel Kleidung mitgenommen, als würde er in den Urlaub fliegen. Er war bereit zu kämpfen.
Ich habe meinen Vater noch zu seinem Krankenzimmer gebracht. Zum Abschied schaute er mich an und hob seine Hand zu einem Peace-Zeichen. Er trug eine Maske, aber ich wusste, dass er lächelte.
Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah.
In der Nacht bin ich zusammengebrochen. Ich dachte daran, wie sehr sich seine Stimme verändert hatte. Er war außer Atem gewesen, obwohl er nur leichtes Fieber hatte.
Nur einen Tag später sagten die Ärzte, dass sie ihn auf die Intensivstation verlegen würden. Mein Vater versicherte mir, dass das nur der Überwachung diene. Wenig später wurde er aber sediert und intubiert. Er bekam einen Beatmungsschlauch in den Mund. Jetzt waren auch die Ergebnisse der Corona-Untersuchung da. Er war positiv.
Danach erlosch jegliche Kommunikation. Ich schrieb ihm “Ich liebe Dich”, aber bekam keine Antwort mehr.
Währenddessen trat hier in Manila die Ausgangssperre in Kraft. Jeden Morgen wachte ich zunächst mit dem Gedanken auf, dass ich heute nichts zu tun haben werde. Dann, mit einem Schlag, fiel mir mein Vater im Krankenhaus ein und ich starrte minutenlang auf mein Handy und wartete auf eine Nachricht der Ärzte. Die Tage, an denen keine Nachricht kam, waren gute Tage. Keine Nachricht hieß, dass nichts Schlimmes passiert war.
Die Unsicherheit war extrem belastend. An richtig schlechten Tagen kamen die Nachrichten der Ärzte fast stündlich. Der Tag bevor mein Vater starb, war ein guter Tag gewesen. Weil sich sein Zustand verbessert hatte, war er aus dem künstlichen Koma geholt worden. Ich hoffte, dass er wieder gesund wird. In der Nacht aber kam alles ganz anders. Seine Lungen arbeiteten nicht mehr. Ich wusste, dass das zu Organversagen führen kann. Die Ärzte fragten mich, ob sie ihm zwei starke antivirale Mittel verabreichen sollen.
Ich schlief, als ich den schwersten Anruf meines Lebens bekam. Als mein Handy klingelte, schoss ich hoch und rannte zum Reden nach draußen. Der Arzt sagte, dass das Herz meines Vaters zu schlagen aufgehört habe. Ich bettelte sie an, ihn so lange wiederzubeleben, wie sie konnten. Nach 20 Minuten war immer noch nichts passiert. Ich bat um zwei zusätzliche Minuten. Sie taten, was sie konnten. Vergeblich.
Als Erstes rief ich meine Freundin an und weinte. Ich konnte nichts sagen, aber sie wusste sofort, was passiert war. Dann habe ich es meinen Geschwistern und unserem Großvater gesagt.
Wir alle tun uns schwer, mit dem Verlust klar zu kommen. Wir konnten uns nicht von ihm verabschieden.
Erst in der Leichenhalle begegnete ich meinem Vater wieder. Ich konnte nur auf den Leichensack starren, der wegen der Ansteckungsgefahr nicht geöffnet werden durfte. Als die Menschen vom Bestattungsinstitut meinen Vater abholten, trugen sie Schutzanzüge. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Sie brachten ihn direkt ins Krematorium. Ich konnte meinen Vater erst wieder in den Arm nehmen, als ich die Urne nach Hause brachte.
Nach seinem Tod bekam ich zahllose Nachrichten von Fremden, die mit mir ihre schönsten Erinnerungen an meinen Vater teilten. Ich wusste, dass er ein guter Chirurg war. Ich wusste aber nicht, wie viele Leben er berührt hatte. So klischeehaft, wie sich das auch anhört, es spendet mir Trost.
Ich brauche noch ein Jahr für mein Jurastudium. Das hält mich über Wasser. Meine Eltern lebten getrennt und jetzt bin ich der einzige, der meine Geschwister unterstützen kann. Aber ich will mehr als nur für meine Familie zu sorgen. Ich will wie mein Vater etwas für die Gesellschaft tun.
Ich hoffe, dass die Menschen sehen, wie ernst COVID-19 ist. Mein Vater wird nicht der Letzte sein, der stirbt. Das Virus ist definitiv nicht wie eine Grippe. Corona nimmt uns unsere Väter, Mütter, Schwestern und Brüder.
Trotzdem habe ich Hoffnung, dass wir als Menschen auf den Philippinen zusammenhalten und kämpfen. Wer kann, bleibt zu Hause. Manche spenden Geld. Einige prangern öffentlich Politiker an, die ihre Wählerschaft im Stich lassen, und loben dafür andere, die vorbildlich handeln. Ich sehe, dass in den Menschen noch immer mehr Gutes als Schlechtes steckt.
Was meiner Familie passiert ist, wünsche ich niemandem. An alle, die das Gleiche durchmachen: Hört nicht auf zu hoffen, dass es wieder besser wird. Das wird es ganz bestimmt.