Paul Refsdal ist ein unabhängiger Journalist aus Norwegen, der die letzten 26 Jahre damit verbrachte über ein paar der härtesten Konflikte von der Gegenseite aus zu berichten. Er startete seine Karriere als Freelancer im Jahr 1984, mit zarten 20 Jahren. Damals ging er nach Afghanistan um mit den Mudschaheddin abzuhängen. Sein Lebenslauf verlief auch danach weiterhin sehr eindrucksvoll – 1985 fuhr er nach Burma wo er sich mit den Karen-Rebellen traf, 1986 verbrachte er in Sri Lanka mit der LTTE, auf dem Weg dahin ging es nochmal kurz nach Nicaragua um mit der Sandinistas abzuhängen. In den Neunzigern sah man ihn in Peru und im Kosovo. Dies war nur ein Auszug seiner wirklich gefährlichen Abenteuer. Was auch noch erwähnenswert ist, mit den Taliban hatte er auch noch zu tun. Ganz klassisch mit Kidnapping und eigener Dokumentation darüber Taliban: Behind the Marks.
Vice: Wie und warum hast du Zeit mit den Taliban verbracht? Ist das nicht viel zu verrückt, um es wirklich durchzuziehen?
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Paul Refsdal: In den letzten neun Jahren wurden wir mit Propaganda über die Taliban gerade zu überschüttet. Ich wollte mir gern mein eigenes Bild machen und sehen was dort wirklich abgeht. In den Achtzigern verfolgte ich den Krieg in Russland und lernte dort Kommandeur Dawran kennen, er war meine Eintrittskarte zu den afghanischen Terroristen. Ich wollte ihn einen Monat lang begleiten. Leider gab es ein Attentat, einige der Kommandeure wurden getötet. So verließ ich die Gruppe also nach neun Tagen.
War es leicht das Vertrauen der Kombattanten zu gewinnen?
Am ersten Tag sahen sie mich an, als wäre ich ein Alien, doch bereits am zweiten Tag wurden Witze gemacht und sie haben ihre Masken abgenommen. So konnte ich endlich einen Einblick in den Alltag der Männer bekommen.
Einige Menschen behaupten, du würdest die Taliban „verharmlosen“.
Wenn irgendjemand ein Problem mit meiner Arbeit hat, zeigt das nur wie wenig sie sich mit dieser Problematik auskennen. Ich bin absolut unvoreingenommen an die Sache herangegangen und habe alles was ich sah auch gefilmt. Die Taliban haben nicht verstanden, warum ich einfach nur ihren gewöhnlichen Tagesablauf dokumentieren wollte. Vor der Kamera gaben sie sich zu Beginn immer wie die starken Krieger. Ich habe ihnen zu verstehen gegeben, dass mich die Waffen und das alles nicht interessiert, sie mussten keine Angriffe simulieren. Das war exakt das Vorgehen der Mudschaheddin in den 80igern.
Von deiner eigenen Perspektive aus betrachtet, wer sind die Taliban?
Ich kann das nicht einfach beantworten, jeder Mensch ist anders. Man kann sagen es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe von Menschen. Es gibt Fanatiker, aber auch die, die einfach nur Musik hören, Zigaretten rauchen und sich rasieren. Außerdem meinte Kommandeur Dawran, dass Frauen studieren sollten und er niemals afghanische Soldaten angreifen würde. Offenbar wollte er nur, dass niemand in sein Land eindringt. Er sagte auch, dass er die Amerikaner nicht deswegen verachtete, weil sie Amerikaner sein, sondern aufgrund ihrer Respektlosigekeit dem Islam gegenüber, darunter fiel, dass sie Frauen durchsuchen und Türen mit Tritten aufbrechen.
In deinem Film zeigst du die Taliban wie sie zusammen schnattern, Witze reißen und zusammen Spaß haben, auf der anderen Seite sieht man wie sie andere im Kampf erschießen.
In dem Gebiet wo ich mich aufhielt wurden jeden Tag Bomben gezündet, die Taliban machten sich darüber offenbar keine großen Gedanken. Wenn die Amerikaner mit ihren Transportern durchfuhren, wurden sie immer beschossen, bis zu drei mal am Tag.
Trotz allem Respekt und Toleranz wurdest du letztendlich auch verschleppt. Was ist da passiert?
Die Koalition hatte eine Offensive gestartet und tötete zwei von Dawrans Kindern, so war ich gezwungen das Bataillon zu verlassen. Omar, ein jüngerer Kommandeur, gab mir seine Telefonnummer und verriet mir seinen Standpunkt. Wir trafen uns ein paar Wochen später. Nachdem wir einen Tag zu Fuß zurück gelegt hatten, wurde ich von einem al-Qaida Mitglied festgehalten, der mir unterstellte ich wäre ein Spion der Amerikaner und das er mich töten möchte. Ich kam zu einer bewaffneten Familie, die mir Schutz vor den Entführern versprachen. Hier realisierte ich zum ersten Mal, dass ich nicht einfach wegrennen kann, sie würden mich finden und mein Leben zu Hölle machen. Meine Entführer kontaktierten die norwegische Botschaft und forderten 500.000$ Lösegeld. Ich stellte klar, dass in Oslo niemand diese Summe für einen Journalisten zahlen würde. Ich müsste ein paar Anrufe machen und selbst dann könnten sie auf höchstens 20.000$ hoffen. Sie liessen mich telefonieren. Schnell rief ich Dawran an und erzählte ihm von meiner Entführung, er kontaktierte Omar. Der gab sich als Sprecher der Taliban aus und alles verlief schließlich gut.
Du erwähnst die al-Qaida. Wie gehen die extremistischen Gruppen miteinander um?
Es sind viele Gruppen im Einsatz – die wichtigsten sind al-Qaida, Hizb-e Islami und die Taliban. Ich glaube nicht, dass zwischen den Taliban und der al-Qaida ein Konflikt besteht, doch ich bezweifle, dass sie gemeinsam kämpfen. Während meiner Entführung wollten mich Angehörige der al-Qaida töten, nicht die Taliban.
Was unterscheidet den Kampf der Afghanen heute, gegenüber dem gegen die Russen damals?
Ich war 1984 und 1985 mit den Mudschaheddin in Afghanistan, als die afghanischen Kämpfer noch als Helden bezeichnet wurden. Sie schwammen buchstäblich in Waffen, sie haben sogar mit ihren RPGs Brennholz “gesprengt”. Sie hatten Stingers (US-Luftabwehrraketen) und natürlich die bedingungslose Unterstützung der westlichen Medien. Beide Faktoren konnten den Krieg in Balance halten. Heute werden die Afghanen von den Medien verteufelt und sie haben schon lange nicht mehr die Feuerkraft, die sie in den Achtzigern hatten. Doch sie kämpfen gegen die Militär-Maschinerie, Ich denke das sie deshalb so fanatisch sind.
Restrepo, ein Dokumentarfilm der das Leben eines Bataillon im Osten von Afghanistan zeigt, hat kürzlich mehrere internationale Auszeichnungen bekommen. Deine Arbeit scheint der bunten Medienwelt ein wenig abhanden gekommen zu sein. Hast du das bewusst ignoriert?
Wir mussten neun Jahre darauf warten, einen Film zu drehen, der einfach zeigt wie es wirklich dort abgeht. Komischerweise waren wir zur gleichen Zeit in Afghanistan und Restrepo wurde nur zwei Kilometer von uns entfernt gedreht. Wie auch immer, ich bin sehr froh über das Ergebnis, der Film wurde bereits in 14 Ländern gezeigt. Ich denke in einem Jahr wird es viele Filme wie meinen geben.
Die meisten Journalisten berichten über den Krieg aus der Perspektive der US-Army, aber du betrachtest den Konflikt von der anderen Seite, warum?
Alle aufständischen Bewegungen sind verschieden, doch zwei Punkte haben sie alle gemeinsam – sie haben wenig Ressourcen und somit wenig Propaganda. Ich war Zeuge als etwas ähnliche in Peru passierte wo Sendero Luminoso (der Leuchtende Pfad) bereits von den Medien verteufelt worden war. Gleichzeitig beobachtete ich aber auch viele Gräultaten durch das peruanische Militär – Familien wurden erschossen, Kämpfern wurden die Unterkiefer amputiert, um leichter an das Zahngold zu gelangen – es ist generell einfacher, die Gräultaten von Aufständischen zu verdammen, als die des Militärs, da man dazu handfeste Beweise gegen die Armee braucht. Peru und Afghanistan sind zwei sehr ähnliche Fallbeispiele dafür, wie Propaganda funktioniert. Das typische Szenario eines Konflikts eben, in dem jeder lügt.
Du bist ein Ex-Militär und hast vier Jahre als Leutnant an der Waffe gedient. Wurdest du jemals beschuldigt, die Seiten gewechselt zu haben?
Ich hatte nie Probleme damit. Manchmal soll ich Vorträge über meine Erfahrungen als Geisel halten. Da besteht wirklich ein großes Interesse, falls man mal in derselben Situation steckt. Das Militär hingegen schätzt meine Arbeit, da ich schließlich direkt an der Quelle bin.
Wie siehst du die Zukunft von Afghanistan?
Beide Seiten wissen, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen können. Ich denke heute sind wir uns alle einig, dass es notwendig ist, einen Friedensvertrag auszuhandeln, der die Macht auf alle Gruppierungen verteilt. Der Schlüssel für eine solche Verhandlung muss noch ein paar Mal gedreht werden, bis man Erfolg sehen kann. Die Menschen werden erstmal weiter kämpfen, um ihre Position für die Verhandlungen zu stärken. Etwas ähnliches sah ich bereits im Krieg von El Salvador, wo beide Seiten von ’93 bis ’99 im Vorfeld des Friedensverhandlungen kämpften um eine starke Ausgangslage für Gespräche zu haben. Das ist wirklich sehr traurig, da eine Menge Leute während dieses Prozesses starben.
Die Taliban sind in einer guten Position gegenüber den Besatzungstruppen.
Die Taliban gewinnen, weil sie weniger Opfer haben. Die Koalitionstruppen hatten 700 Opfer im Jahre 2010, dass war ihr schlimmstes Jahr. Und wir sollten nicht vergessen, dass die Taliban heute sehr viel realistischer an ihr Vorhaben herangehen, als noch 2001. Ich glaube nicht, dass man die Taliban heute noch stürzen könnte, egal welche Truppen man einsetzen würde. Sie wollen nicht das ganze Land erobern, obwohl sie das vielleicht könnten. Sie möchten nur die Kontrolle über ihre Gebiete, wie Kandahar, Helmand, etc.
Paul wurde ein richtig harter Typ in Tschetschenien.
Glaubst du Journalisten wie du einer bist, können die Propaganda der Medien durchbrechen und wirklich aufklären?
Die Qualität von Kriegs-Reportagen ist wirklich stark zurückgegangen in den letzten Jahren. Dafür gibt es sicherlich viele Gründe, zum einen sind unsere eigenen Länder mit in diesem Krieg involviert und das wirkt sich offensichtlich auf die Objektivität aus. Und zweitens sind die meisten Journalisten einfach zu versessen auf Sicherheit. Man kann keine fundierten Berichte aus einem Hotelzimmer liefern. Ich erinnere mich an die sogenannten „Wegwerf-Tschetschenen“. Man gab ihnen 50 Dollar und eine Kamera. Wenn der dann abkratzt, kein Problem dann gab man eben nochmal 50 Dollar an den nächsten. Wer jedoch lebend zurück kam, konnte noch einen Bonus einstreichen. So konnte man die Verantwortung einfach abgeben. Aber ich glaube es finden sich immer ein paar, die es wirklich ernst nehmen und deshalb schaue ich optimistisch in die Zukunft. Unabhängige Journalisten brauchen keine Sicherheitsleute oder gepanzerte Fahrzeuge. Wir arbeiten alleine und bekommen so meistens auch die besseren Geschichten.