Ein Video zeigt, wie Polizisten einen gefesselten Mann misshandeln



Ein Mann steht an einer Hauswand, seine Hände auf den Rücken gefesselt. Hinter ihm steht ein Polizist, der kontrollierend die Hand zwischen den Schultern des Mannes hat, ein zweiter Polizist prüft währenddessen Papiere. Es ist Dienstag, der 28. Juli gegen 18:00 Uhr, die Männer stehen in der Weintraubengasse im 2. Bezirk. Das Geschehen wird aus einem gegenüberliegenden Fenster mit einer Handykamera festgehalten.

Man hört nicht, was gesprochen wird, doch man kann sehen, dass der Mann sich nicht bewegt und keinen Widerstand leistet. Die Situation scheint unter Kontrolle zu sein, als plötzlich einer der Polizisten den Festgenommenen am Hemd nach hinten zieht. Der Mann ist mehr als nur passiv: Er lässt sich wegziehen, lässt sich wieder an die Wand drücken. Seine Körpersprache ist eindeutig—keine Anspannung, kein Abwehren, nichts, das als Widerstand interpretiert werden könnte.

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Der Kopf ist gesenkt, der Körper gibt dem willkürlich wirkenden Ziehen und Drücken des Polizisten nach. Dann schubst der Beamte ihn an die Wand. Der zweite Polizist greift ein. Er fasst dem Mann um den Hals und schmeißt ihn mit dem Kopf voran zu Boden.

Da die Hände des Festgenommenen hinter seinem Rücken fixiert sind, kann er sich nicht abstützen. Er fällt mit voller Wucht mit dem Kopf auf den Beton—man hört ein Klatschen, als der Kopf auf den Boden knallt. Er schreit auf, die Polizisten stürzen sich auf ihn, fixieren ihn. Ein Polizist ruft wiederholt „Calm down!”


Soweit die Tatsachen, die durch das Sichten des Videos, das uns exklusiv zugespielt wurde, offensichtlich sind. Doch gemeinsam mit Florian Klenk und der Stadtzeitung Falter haben wir weiter recherchiert. Denn natürlich gibt es auch eine Version der Beamten, die die Amtshandlung durchgeführt haben. Die Sachverhaltsmitteilung der Einsatzgruppe liegt VICE und dem Falter vor und eines wird beim Lesen sehr schnell klar: Zumindest Teile des Berichts stimmen nicht mit den Tatsachen überein.

„Auf Höhe … konnte er angehalten werden und wurde mit beiden Händen an der Wand fixiert. Er versuchte sich durch massives Winden mit dem Oberkörper, sowie Wegdrücken von der Wand mittels Oberkörper und Kopf aus der Fixierung zu lösen. Ihm wurden am Rücken die Handfesseln angelegt.

Da die Sicherung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, wurde der 27-Jährige zu Boden gebracht und kurzzeitig in Bauchlage fixiert …

Im Rahmen der Amtshandlung wurden auch leichte Verletzungen dokumentiert, die sich der Betroffene beim ,mit dem Kopf von der Wand wegrücken’ [sic] zugezogen hat.”

Der Mann soll laut Polizeibericht am Praterstern von den Beamten weggerannt sein, noch bevor er zu einer routinemäßigen Personenkontrolle aufgehalten werden konnte. Drei Beamte hätten die Verfolgung aufgenommen, der Mann habe während der Flucht Gegenstände weggeworfen, die sich später als Diebesgut herausgestellt hätten. Die Polizisten konnten den 27-Jährigen stellen—er habe, wie oben bereits zitiert, versucht, sich durch „massives Winden mit dem Oberkörper, sowie Wegdrücken von der Wand mittels Oberkörper und Kopf aus der Fixierung zu lösen.” Aufgrund dessen habe man seine Hände auf den Rücken gefesselt.

Dieses „massive Winden” ist auf dem Video nicht zu sehen. Der Informant, der uns das Beweisvideo zukommen ließ, behauptet jedoch: „Bevor die Polizei gewaltsam wurde, hat der Mann nichts gemacht”. Das „Wegdrücken von der Wand mittels … Kopf” wird von der Polizei am Ende des Berichts als Ursache für die Kopfverletzung genannt. Das Video zeigt eindeutig, dass diese Behauptung unwahr ist. Dass die Kopfverletzung von einem ungebremsten Sturz mit dem Kopf auf die Straße kommt, den ein Beamter zu verschulden hat, steht im Bericht nicht. Auch, dass im Bericht geschrieben wird, der Mann sei deswegen zu Boden gebracht worden, da die „Sicherung nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte” ist schlichtweg gelogen.

Die Beamten nehmen den Mann anschließend mit, lassen ihn gegen 19:30 Uhr wieder gehen, die Staatsanwaltschaft zeigt ihn wegen des Verdachts auf Diebstahl, Urkundenunterdrückung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel auf freiem Fuß an.

Vier Beamte waren laut Polizeibericht an der Amtshandlung beteiligt, von denen zwei nicht im Video zu sehen sind. Ein Polizist, der durchgehend im Bild ist, vergreift sich dabei deutlich an dem Festgenommenen—und zwar mit direkter, unverhältnismäßiger Gewalt.

Folgende Vermutungen liegen also nahe: Sie alle hätten während des Übergriffs einschreiten und den Übergriff ihres Kollegen anzeigen müssen. Dass sie das nicht getan haben, ist Amtsmissbrauch. Der Polizist, der den Mann zu Boden wirft, macht sich der Körperverletzung schuldig. Zu alledem kommt, dass alle anwesenden Polizisten einen falschen Sachverhalt zu Protokoll gegeben haben.

Update Dienstag 11.08.,18:30:

Wie die Polizeidirektion Wien soeben via Twitter bekannt gab, wurde der im Verdacht der im Video handgreifliche Beamte wegen „Verdacht auf unverhältnismäßiger Anwendung von Körperkraft” mit sofortiger Wirkung vom Außendienst abgezogen und in den Innendienst versetzt.

Update Dienstag 18.08.:

Wie das Ö1-Morgenjournal berichtet, sollen Polizisten und Justizwachbeamte nun für sechs Monate testweise Körperkameras tragen.

Wir berichten, sobald weitere Updates bekanntwerden.

Dieser Artikel ist Teil der VICE-Kolumne Cop Watch. Wenn auch ihr schon mal Übergriffe wie diesen beobachtet habt oder selbst Opfer von Polizeigewalt geworden seid, schreibt uns eine E-Mail.

Hanna auf Twitter: @HHumorlos | Florian Klenk auf Twitter: @FlorianKlenk