Foto: filedump | Flickr | CC BY 2.0
“Du kommst aber nicht aus Wien”, ist wohl der meistgehörte (und -gehasste) Satz, den mir Menschen in Wien in den acht Jahren, in denen ich nun in Wien wohne, in jeder Lebenssituation entgegnet haben. Nein, ich komme nicht aus Wien. Man hört es. Sofort. Aber weil wir Steirer uns nicht über alles maßlos aufregen und eher auf einer Welle von Frohsinn und Kürbiskernöl dahingleiten, antworte ich meistens einfach mit “Na, i kum aus da Steiermoak”.
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Rund 42.500 Steirer und Steirerinnen sind laut Aufzeichnungen aus dem vergangenen Jahr in Wien gemeldet. Wie viele in der Hauptstadt leben und arbeiten und die Pendlerpauschale kassieren, weil sie nicht gemeldet sind, ist natürlich nicht bekannt. Und dann gibt es noch die zirka 1800 Pendler, die mit Bussen täglich aus der Steiermark nach Wien und wieder zurück (!) fahren (es gibt keine Zahlen dazu, wie viele mit Auto oder Zug pendeln). Sie nehmen die ein- bis zweistündige Fahrt auf sich, um in der Hauptstadt zu arbeiten oder zu studieren. Oder anders: Sie nehmen eine ein- bis zweistündige Fahrt auf sich, um dort nicht leben zu müssen.
Für viele ist es nämlich unvorstellbar, das grüne Herz Österreichs zu verlassen und in die Großstadt zu ziehen. Der “Wienblues” hat auch einige meiner Freunde und Bekannte schnell eingeholt, als sie nach Wien gekommen sind und der Großteil hat sich schließlich entschlossen, zurück nach Hause oder in das beschaulichere Graz zu ziehen. Die, die gekommen sind, um zu bleiben, haben hingegen eine regelrechte Wienliebe entwickelt. Vielleicht ist es deshalb so schwer, ein Lokal oder einen Platz zu nennen, in der sich Steirer vermehrt aufhalten—sie sind eigentlich überall dort, wo auch der Rest der 1,8 Millionen Einwohner Wiens zu finden ist.
Viele nehmen die ein- bis zweistündige Fahrt auf sich, um in Wien zu arbeiten oder zu studieren. Oder anders: Sie nehmen eine ein- bis zweistündige Fahrt auf sich, um dort nicht leben zu müssen.
Die meisten von ihnen leben im Zentrum oder im Westen Wiens. Das erklärt vielleicht auch, warum die ersten Partys von zugezogenen Steirern im Bermudadreieck am Schwedenplatz oder in den Gürtellokalen gefeiert werden. Zumindest kam es mir so vor, denn sie sind nicht zu überhören, die Exil-Steirer. Aber gut, ich glaube, das Bermudadreieck und die Gürtellokale sind die ersten Anlaufstellen für jeden Wien-Zugezogenen über 16. Aber auch ohne fünf Cocktails für 10 Euro lernen wir gerne neue Menschen kennen. Unsere Integrationswilligkeit ist vor allem daran zu erkennen, dass es kaum Freundeskreise gibt, die nur aus Steirern bestehen. Jedenfalls kenne ich keinen.
Einen Stammtisch gibt es aber doch—den des Vereins Steirer in Wien. Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Zakostelsky ist der Obmann des Vereins und organisiert gemeinsam mit dem Vorstand nicht nur den Steirerball, der jährlich in der Hofburg stattfindet, sondern auch den monatlich stattfindenden Stammtisch im Hofbräuhaus und diverse andere Veranstaltungen. “Wien ist die zweitgrößte steirische Stadt”, hat Zakostelsky in einem Interview einmal gesagt. Der Verein hat zirka 1000 Mitglieder.
Wer nicht gleich einem Verein beitreten möchte, aber doch die Kommunikation mit anderen Steirern in Wien sucht, der kann sich im Frühling am Steiermarkdorf am Rathausplatz davon überzeugen, was Uhudler aus Menschen macht. Manchmal heißt Uhudler Erotikaperle und man sagt, sie mache ziemlich geil. Hier trifft man auf andere Exil-Steirer und kann seinen Wiener Freunden zeigen, wie viel Wein Menschen trinken können, bis sie auf Strohballen einschlafen oder plötzlich in der Lage sind, Ziehharmonika zu spielen. Aber “Steirerbluat is holt ka Himbeersoft”.
Auch die Frage nach der Definition von Jause oder Heurigen kann mit den Wienern endlich vor Ort geklärt werden, denn die Heurigen in Wien sind für die meisten Steirer, die nur Buschen- und Mostschanken kennen, eine echte Enttäuschung. Eine gebackene Zucchini oder lauwarmer Schweinsbraten sind nicht das, was Steirer unter einer “gscheiten Jausn” verstehen. Oder irgendjemand auf dieser Welt außer Wiener und vielleicht die Niederösterreicher, die an Wien entlang kratzen.
“Steirerbluat is holt ka Himbeersoft!”
Am Steirerfest geht es aber nicht nur um tolles Essen und ausschweifenden Alkoholkonsum, sondern vor allem darum, auf bekannte Leute zu treffen. Auch auf die, die normalerweise in der Steiermark leben—denn es gibt tatsächlich welche, für die das Steirerfest ein Grund ist, nach Wien zu fahren und unter ihresgleichen zu feiern. Es ist eben wie ein Fest am Land, bei dem man durchspaziert und jeden Zweiten kennt, nur mit besserer Musik, weil hier steirische Bands wie Tschebberwooky, The Uptown Monotones oder Polkov auftreten. Auch die Edelseer sind dabei, aber Wein mit Wein ist eine gute Kombination, um das zu ertragen.
Es ist auch das einzige Mal, wo man auf die Anonymität der Großstadt verzichtet, die man über die Jahre so zu schätzen gelernt hat, denn hier sammeln sich die Leute, denen man schon das ganze Jahr versprochen hat, etwas trinken zu gehen—einfach, weil man sich kennt—aber es natürlich nie geschafft hat. Die perfekte Gelegenheit, auch wieder einmal über Dialekte zu philosophieren und es gemeinsam lustig zu finden, dass fast jedes Wort im “Stoasteirischen” ein anderes ist als im Hochdeutschen.
Aber manchmal muss man sich halt dann doch zusammenreißen, wenn man mit Nicht-Steirern spricht. Muss man nämlich jemandem den Weg erklären, wird er “gschreams iwas Ghockte driwa” wahrscheinlich nicht verstehen. Aber im Deutschen wie im Englischen lassen sich die Wurzeln nicht verstecken. Ja, viele von uns sprechen tatsächlich wie Arnold Schwarzenegger, wenn sie englisch reden. Das loszuwerden bedarf jahrelangen Trainings.
“Gschreams iwas Ghockte driwa!”
Ein paar haben es besser geschafft, den Steirer Dialekt loszuwerden: Heinz Fischer, Elfriede Jelinek, Thomas Muster und Lena Hoschek sind nur einige. Auch Andreas Gabalier is a Steirerbua, woran er gerne erinnert. Er spricht zwar nicht mehr allzu Steirisch, verdient sein Geld aber nun mit Zeilen wie “I und du und nur der Mond schaut zu. Dann sagst du Hulapalu”. Ob Menschen das besser verstehen, ist die Frage.
Die Steirer sind, wie auch die übrigen 652.000, die aus dem Ausland zugezogen oder die 281.500, die aus den anderen Bundesländern kommen, ein wichtiger Teil Wiens. Und ihr wisst gar nicht, wie wichtig wir sind. Aber wir liefern nicht nur guten Wein in die Hauptstadt des weißen Spritzers, sondern bringen auch Ruckwurst und Kürbiskernöl mit und amüsieren nur zu gern mit Dingen wie “Oktouwa” statt Oktober zu sagen. Dabei rate ich den Wienern dringend davon ab, zu versuchen, unseren Dialekt nachzumachen oder Kürbiskernöl zusätzlich zum typisch wienerisch-süßen Dressing über den Salat zu kippen—Salatdressing muss sauer sein, Freunde.
Obwohl wir Wahlwiener die Hauptstadt lieben wie kalten Gösser Zitronen-Radler im Sommer, ist es trotzdem immer ein schönes Gefühl, dem grünen Herz-Schild auf der Südautobahn entgegen zu fahren und gleichzeitig über die Tafel zu schmunzeln, auf der “Steiermark” auf 25 verschiedenen Sprachen abgebildet ist, die man aber nur schwer lesen kann, wenn man mit 130 km/h vorbeibrettert.