The Noisey Guide to Psychobilly


Foto: © Fantangor72

Ihr habt doch alle Leichen im Keller. Größtenteils zwar hoffentlich metaphorisch, aber im Ernst—wie seid ihr denn vor zehn Jahren herumgelaufen? Ihr könnt auf das Vergessen hoffen, aber irgendjemand wird sich immer an eure Globe-Skateschuhe und die Snoopy-Polyesterboxershorts unter den tiefhängenden Fubu-Jeans erinnern. Irgendjemand weiß auch noch, wie ihr in Buffalos und mit absurd azurblau umrandeten Augen über den Schulhof stolziert seid. Und die Musik, die ihr damals gehört habt? Klar, Chocolate Starfish and the Hot Dog Flavored Water war ein starkes Album, aber irgendwann seid auch ihr in eine dubiose musikalische Ecke abgedriftet.

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Genauso wie ich. Aber im Gegensatz zu euch bereue ich es bis heute nicht. Damals, als ich peinlich berührt neben dem coolen Jungen stand, der meine Existenz mit mildem Desinteresse zur Kenntnis nahm und mir aus Mitleid erlaubte, ihn auf ein Konzert zu begleiten. Kunstblut, Schweiß und Spucke rieselten in einem feinen Sprühregen auf mich, während die Vibrationen der gezupften Saiten des Kontrabass durch den Boden bis in meine Fingerspitzen bebten und der perfekt konisch geschnittene Haarturm des Sängers einladend in meine Richtung wippte. Vergessen war der picklige Idiot neben mir—aber hallo, ihr Freaks von Demented Are Go!

Heute werde ich euch daher (in) das wundervolle Genre namens Psychobilly einführen. Und ja, das meine ich genauso dreckig, wie es euch eure durchtriebene Fantasie gerade vorstrippt. (Kunst)blut, verschmiertes Make-Up, Texte über Zombies, Leichen und Nekrophilie, gebrüllte Refrains—alles dabei!

Aber erst einmal alles auf Anfang: Den Ursprung fand die Psychobilly-Bewegung im England der 1980er, geplant als Gegenbewegung zum blühenden Rockabilly-Boom. Rhythmus und Melodie orientierten sich an Elementen des frühen Rock’n’Rolls sowie des Rockabilly, während gesangliche Elemente besonders hinsichtlich der Aggressivität aus der Punkmusik übernommen wurden. Namenspate für diese neue Kombination war niemand Geringerer als Johnny Cash—in seinem Song „One Piece At A Time“ besang er einen „Psychobilly-Cadillac“: ein Automobil, das aus vielen gestohlenen Einzelteilen zusammengebaut wurde.

Psychobilly wird üblicherweise mit Gitarre, Schlagzeug und Kontrabass gespielt, in manchen Variationen kommen auch Klavier, Orgel oder Saxophon zum Einsatz. Man mag das schnelle Tempo unentspannt finden, das Schlagzeug zu hart, den Gesang zu kratzig gegröhlt und sich über die Texte… naja, zu denen kommen wir später. Aber Oh! Der Kontrabass! Eines der meistunterschätzten Instrumente aller Zeiten! Wenn diese rhythmischen, tiefen Töne angeschlagen werden, finde ich mich verzückt an vorderster Bühnenfront wieder und meine Lenden vibrieren dem schwitzenden, fatal geschminktem Ungetüm der Bloodsucking Zombies From Outer Space entgegen, das sich bezeichnenderweise auch noch „Dr. Schreck“ nennt.

Als Band der ersten Stunde und eigentliche Begründer des Genres gelten The Meteors. Das Quartett aus UK formierte sich 1980 und war die erste Band, die ihren Stil als Psychobilly deklarierte. Bis heute werden sie vehement von ihrer Fanbase (der „Wrecking Crew“) als „The only Pure Psychobilly” gehandelt.

Weitere bekannte Vertreter der „ersten Welle“ sind Demented Are Go, Mad Sin, Restless, Batmobile, Frantic Flintstones und The P.O.X. Anfang der 1990er setzte die zunehmende Kommerzialisierung des Genres ein, Bands wie Nekromantix, Reverend Horton Heat und The Quakes gewannen an Popularität.

Die Übergänge zu anderen Genres sind wie so oft fließend, daher schweben Horror-Punk Formationen wie Misfits, Blitzkid, Graves oder Balzac im Dunstkreis des Psychobilly. Gegen Ende der 1990er schaffte das Genre den Sprung in die gesellschaftliche Akzeptanz. Bands wie Horrorpops, Koffin Kats, Bloodsucking Zombies from Outer Space und Tiger Army traten ins Rampenlicht, wobei die Letztgenannten wohl besonders durch weichere Töne, weniger gewalttätige Texte und der melodischen Stimme von Sänger Nick13 der internationale Durchbruch gelang.

Die Themenbreite, die in klassischen Psychobilly-Songs behandelt wird, könnte auch einem durchschnittlichen VICE-Artikel entstammen. Gerne werden gesellschaftliche Tabuthemen aufgegriffen, die meist in Richtung Splatter driften. Mord, Blut, Vergewaltigung, Tod, Monster, Blut, Analsex, Tod, Nekrophilie, geronnenes Blut, Zombies, Tod, Friedhöfe, Blut, Kettensägen, Tod, diverse Horror-Szenarien, Blut—und habe ich Tod schon erwähnt?

Exkludiert man nun all die famos überspitze Morbidität, die Tonnen an wasserfestem Make-Up, das auch-bei-60°-nicht-auswaschbare Kunstblut, die seltsamen Frisuren von Musikern und Fans, so bleibt immerhin noch ein bisschen Gesang, ein bisschen besungener Horrorfilm und natürlich der Kontrabass. Und wenn man sich die Zombies in der morgendlichen S-Bahn ansieht, dann feiert man doch ohnehin jeden Tag Halloween, oder?

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