Von Wien erwartet man sich Großstadtflair, Prunkbauten und schlecht gekleidete Touristen. Man rechnet natürlich auch mit Phänomenen, die jede ordentliche Stadt mit sich bringt, wie Obdachlosigkeit, Suchtproblematik und Sex in der U-Bahn. Wien assoziiert man mit verschiedensten Dingen, aber ganz sicher nicht mit Wildschafen, wie zum Beispiel dem Europäischen Mufflon. Allerdings werden genau diese auffälligen Hornträger und weitere unerwartete Wildtierarten hier mitten in Wien gejagt. Wenn du also das nächste Mal einen Schuss hörst, denk nicht sofort an Banküberfälle oder Bandenkriege, denn vielleicht wurde einfach „nur” ein Fuchs erlegt.
Nachdem man zum Thema Jagd in Wien nicht sonderlich viele Informationen findet, habe ich mit Mag. jur. Johann Schorsch, Landesjägermeisterstellvertreter des Landesjagdverbandes Wien, gesprochen, der selbst seit 55 Jahren der Jagd verfallen ist. Schon sein Großvater war Jäger und auch seine Enkel begleiten ihren Opa schon auf der Pirsch. Dennoch sei Jagd keinesfalls mehr bestimmten Personenkreisen vorbehalten—jeder Interessierte habe die Möglichkeit in Wien zu jagen, solange er die nötigen Qualifikationen aufweist.
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Die Stadt Wien besteht aus 32 Eigen- bzw. Gemeindejagdgebieten, wobei die Jagdgebiete Wienerberg und Donauinsel aufgrund des hohen Ausflugsverkehrs komplett ruhen. Das heißt, dass dort nicht mehr auf irgendwelche Vögel oder Hirsche geschossen wird, weil die Gefahr zu groß ist, einen nichtsahnenden Spaziergänger oder Nacktbader zu treffen. Herr Schorsch erklärte mir, dass die Donauinsel früher ein Mal pro Jahr „durchgejagt” wurde, Hasen und Fasane wurden geschossen und damit war es auch getan. „Nur kam dann der Druck der Antijäger und sonstiger Leute. Die Anzahl des Wildes ist kurz angestiegen und danach war es aus. Die Bereiche, wo früher hunderte Stück Wild waren, sind heute fast wildleer. Am Wienerberg waren hunderte Rebhühner, heute ist dort nichts mehr.” Dies liegt laut Schorsch daran, dass ohne die Hege der Jäger eine Überpopulation entsteht, die die Ausbreitung von Seuchen begünstigt.
Was passiert, wenn es zu viele Tiere einer Art gibt, zeigt Schorsch am Beispiel der Myxomatose—auch Löwenkopf genannt—in Favoriten auf. Dort mussten Scheibtruhen voller Kaninchen entfernt werden, die an der Viruserkrankung verendeten. Tausende ihrer Art sind der Seuche, die von Flöhen übertragen wird und zu eitrigen Geschwulsten am Kopf führt, zum Opfer gefallen. In den Jahren danach wurden laut Schorsch nur noch sehr wenige Kaninchen in der Gegend gesichtet. Spätestens seit dem Beginn der Bauarbeiten an der U1 sind sie völlig aus dem Gebiet verschwunden.
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Laut Gesetz ist ganz Wien ein riesiges Jagdgebiet. Das ist deshalb so, weil vor ungefähr drei Jahren vermehrt Wildschweine in die Gärten der Wiener eingedrungen sind und dort ein Paradies vorfanden. Noch kein Rüssel hatte den Boden zuvor durchwühlt, überall fanden sie schmackhafte Blumenzwiebeln. Angeblich soll auch ein Überläufer (ein ein- bis zweijähriges Wildschwein) durch einen Bus der Wiener Linien gerannt sein, als der Fahrer bei der Endstation gerade eine Pause einlegte. Die Jäger waren jedoch machtlos, denn sie durften die Schweine weder fangen noch schießen, weil es sich bei den betroffenen Gebieten nicht um Jagdflächen handelte. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, die Schweine vom Veterinärmediziner betäuben und einschläfern zu lassen. „Dann wäre das Fleisch weg gewesen”, meint Schorsch. Jede Ecke Wiens ist somit nun Jagdruhensfläche, die im Notfall einen Abschuss erlaubt. Jedoch gab es seit damals keine Probleme mehr mit Wildschweinen. „Die haben das vermutlich in der Zeitung gelesen”, meint Schorsch lachend.
Herr Schorsch und seine Jägerkollegen sind teilweise ganz schön entnervt von den Bewohnern Wiens: ständig wird die Polizei von erschrockenen Bürgern gerufen und die Frage „Müssen Sie da jetzt jagen, wenn ich spazieren gehen will?!” wird ihnen auch öfter an den Kopf geworfen. Weiters gibt es immer wieder Probleme mit uneinsichtigen Hundebesitzern, die ihre Hunde nicht an die Leine nehmen, die dann schwangere Hasen über die Wiesen hetzen. Hasen bekommen alle sechs Wochen Junge, deshalb sind sie so gut wie immer schwanger. Aber nicht nur die Hasen sind sehr aktiv was die Fortpflanzung angeht, auch menschliche Pärchen, die die Dämmerung und das Dickicht nutzen, um ein Nümmerchen im Freien zu schieben, ertappt Schorsch des öfteren auf seinen Rundgängen durch die Wälder. Auch mit Wilderern haben die Jäger von Wien zu kämpfen. Immer wieder werden Tiere illegal erlegt, oftmals sogar mit Pfeil und Bogen. Jedoch hat es dieses Problem immer schon gegeben und Schorsch meint, dass es dieses auch immer geben wird.
Tierquälereien, wie zum Beispiel die Strangulation eines Frischlings im Lainzer Tiergarten oder die Enthauptung eines Rehes in den Steinhofgründen kommen zum Glück selten vor. Die FPÖ verlangt trotzdem nach „Aufnahme der Tehmen Umwelt-, Natur- und Tierschutz in das Integrationsprogramm, vor allem für kulturfremde und bildungsferne Zuwanderer aus Ländern mit nachweislich wesentlich niedrigeren Standards in diesen Bereichen.” Das unschuldige Reh fiel jedoch keinem „bildungsfernen Zuwanderer” sondern einem Fuchs zum Opfer.
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Der Landesjagdverband beklagt auf seiner Homepage, dass die Pirsch in vielen weiteren Jagdgebieten aufgrund der Massen an erholungsuchenden Städtern nur noch bei Nacht oder in den frühen Morgenstunden Erfolg verspricht. Auch Treibjagden sind schwer durchzuführen und können nur mit Hilfe der Polizei ermöglicht werden. Schorsch erklärt, dass die Jagden bei der Polizei gemeldet werden würden, damit diese nicht ständig aufgrund panischer Anrufe von Anrainern ausrücken müsse. Ein weiteres Problem stellt die starke Bebauung dar, die immer mehr Jagdgebiete verkleinert oder gar zerstört. Das Mitgefühl der Wiener diesbezüglich hält sich in Grenzen, denke ich. Dabei sorgt der Landesjagdverband für spannende Events wie den Landesjägertag, das Jagdhornkonzert oder den Jägerball, der alljährlich zu Protesten von Personen, die Jagd für eine nicht so coole Sache halten, führt. Mit dem Jagdhorn (vom Landesjagdverband liebevoll „Megafon des Altertums” genannt) kann man sich allerdings auch gemütlich vom Sofa aus beschäftigen und muss nicht zwingend zu einem Treffen der illustren Jagdmusikanten. Auf der Homepage des Verbands kann man sich anhören, wie es klingt, wenn „Sau tot” geblasen wird. In Wien sollte man sich mit dem Geräusch des Jagdhorns vertraut machen, um beim leisesten Ton dieses Instrumentes in Schockstarre zu verfallen, damit es nicht zu „Jogger tot” kommt.
Jagen ist nicht nur ein von vielen Menschen verachtetes, sondern auch ein teures Hobby (wobei Schorsch es gar nicht mag, wenn man Jagd als Hobby bezeichnet): alleine die Ausbildung, in der man alles über Haarwild, Jagdhundwesen und jagdliches Brauchtum lernt, kostet 700 Euro. In Wien gibt es rund 1.400 Landesjagdkartenbesitzer, also Hobby- und Berufsjäger, denen es somit erlaubt ist, auf die Pirsch zu gehen—allerdings nur in Begleitung von einem der 29 Berufsjäger der MA 49. Diese Magistratsabteilung verkauft auch die Schüsse. Will man also einen Keiler abknallen, so zahlt man 2.500 Euro dafür. Einen Hirsch gibt es um 2.000, einen Frischling schon um 100 Euro. Das Erlebnis, einem plüschigen Gesellen in den Leib zu schießen, ist nur für wenige Auserwählte kostenlos. Diese sogenannten Repräsentationsabschüsse werden vom Bürgermeister höchst persönlich an Freunde, Geschäftspartner oder Menschen, die es sich irgendwie verdient haben, vergeben. Das ist allerdings nur ungefähr 10 Mal pro Jahr der Fall und somit ist der Verlust für die Stadt Wien tragbar.
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Hat man sich endlich genug Geld angespart und ein Tier seiner Wahl erschossen, darf man allerdings nur die Trophäe behalten, denn das Fleisch geht an die Stadt Wien, welche dieses weiterverkauft. Man hat allerdings als Schütze das Recht darauf, das Fleisch selbst zu erwerben. Für das Fleisch eines einzelnen Wildschweines bekommt die Stadt so zum Beispiel zirka 60 Euro. Das ergibt bei den 1800 bis 5000 erlegten Wildtieren mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr. Die Stadt verdient also alles andere als schlecht mit den Waidmännern und ist deshalb natürlich auch daran interessiert, imposantes Jagdgebiete für deren Unterhaltung bereitzustellen.
Im Gegensatz zu Treibjagden kommen Gatterjagden, wie sie zum Beispiel in Niederösterreich durchgeführt werden, laut Schorsch in Wien nicht vor, da es nur ein Gatter gibt—den Lainzer Tiergarten. Dieser ist jedoch so groß, dass laut Schorsch kaum von einem Gatter die Rede sein kann. Der Lainzer Tiergarten war schon von jeher ein wichtiges Gebiet für die Wildtiere von Wien. Während des zweiten Weltkrieges fielen die Russen über den Tiergarten her, versorgten sich mit Fleisch und rissen die Mauern mit Panzern nieder. Schorsch erzählte mir, dass es in Wien nur ein männliches Damwild gab, welches zu dieser Zeit vom Tiergarten Schönbrunn ausgeborgt wurde, um die Hirschkühe zu begatten. Um dieses wertvolle Tier nicht zu verlieren, wurde es in einer Scheune vor den Russen versteckt, um die Damwild-Population der nächsten Jahre zu garantieren.
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Betrachtet man die Statistik, so fallen einem Tierarten auf, die man in Wien nicht—zumindest nicht in solch großer Anzahl—vermutet hätte. Im Jagdjahr 2012/13 wurden 26 Mufflons, 189 Füchse und 347 Rehe erschossen. Von den wohl meist vorkommenden und meist gehassten Vertretern des Federwilds, den Tauben, wurden hingegen nur 41 erlegt. Auch Rotwild, Damwild, Schwarzwild, Hasen, Dachse, Marder, Fasane, Enten und viele weitere Tiere wurden erfolgreich gejagt. Einige Tiere fallen auch dem Straßenverkehr zum Opfer, jedoch sind die Zahlen vergleichsweise klein. Aber auch für dieses sogenannte Fallwild sind die Jäger zuständig. Das Fleisch kann aufgrund der starken Verschmutzung und den strengen Wildhygienebestimmungen nicht mehr verkauft werden. Verwertet werden die Kadaver allerdings schon noch, wenn dies irgendwie möglich ist.
Neben all den interessanten Fakten zur Jagd haben wir von Herrn Schorsch noch etwas Wesentliches erfahren: Das ausgestopfte Murmeltier, das durch mysteriöse Umstände in unserem Büro gelandet ist und seitdem hier steht, ist für Kenner nicht wirklich ein Augenschmaus. „Das sieht aus, als hätte es jemand präpariert, der noch nie ein Murmeltier gesehen hat!”, meinte der Landesjägermeisterstellvertreter erschrocken. Wir lieben es trotzdem.