Ich wurde damals beim “Rolltreppen-Opening” angezeigt – und habe jetzt gewonnen

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Könnt ihr euch noch an die Sache mit der Rolltreppe erinnern? Als aus einem dummen Facebook-Viral zuerst ein Ding, dann ein Flashmob und letztendlich ein Polizeieinsatz mit Dutzenden Anzeigen wurde? Vielleicht habt ihr auch ein ungefähres Gefühl dafür, wie lange diese ganze Sache eigentlich her ist und wundert euch, warum ich jetzt wieder damit anfange—aber genau das ist gewissermaßen der Punkt.

Denn nach insgesamt 240 Tagen(!) kann ich nun einen Erfolg verbuchen: Die drei von der Polizei Wien gegen mich eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren wurden eingestellt. Alles was es dazu brauchte, war viel Geduld, ein wenig Einlesen in die gültigen Gesetze, korrektes Verfassen von Einsprüchen und peinlich genaues Einhalten von Fristen. Das klingt alles nach der dunklen Seite des Erwachsenwerdens und nach ziemlich viel ziemlich langweiliger Bürokratie, hat mir aber in meinem Fall 150 Euro an Strafen erspart (bei einem anderen Betroffenen wären es sogar 300 Euro), ohne mich abgesehen von ein wenig Briefporto selbst Geld zu kosten.

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150 Euro, die ich nun für sinnvollere Dinge einsetzen kann, wie zum Beispiel sechs Flaschen Jack Daniel’s oder zehn Monate Handyvertrag oder 150 Cheeseburger—also ziemlich viel Gönnung. Damit es euch im Ernstfall genauso geht und auch ihr eure Bürgerrechte wahrnehmen könnt—und zwar ganz ohne Anwalt, Papa oder Rechtsschutzversicherung, sondern einfach nur mit den gewöhnlichen Rechtsmitteln—, kommt hier eine kleine Chronik der Ereignisse.

1. Dezember 2015

Nachdem die “Winer Linien” irgendwann im November 2015 ein Facebook-Event gegründet haben, das in Windeseile viral geht und knapp 15.000 Zusagen hamstert, findet am 1. Dezember tatsächlich eine Art Flashmob mit ein paar 100 Teilnehmern statt. Weil die Stimmung für Wiener Verhältnisse zu positiv ist, kommt es zu einem Polizeieinsatz, bei dem zirka 100 Anzeigen erstattet werden. Ich bin mittendrin.

2. Dezember 2015

Ich veröffentliche einen Bericht hier auf VICE. Andere Medien zeigen Interesse, der Kurier ruft mich an.

3. Dezember 2015

Ein Nachbericht mit meiner namentlichen Nennung erscheint in der Printausgabe des Kurier. 15 minutes of fame oder so.

8. und 10. Dezember 2015

Andere Betroffene nehmen mit mir per Facebook Kontakt auf, um sich Rat zu holen, wie nach Anzeigen vorzugehen ist; es kursieren Bußgeldsummen bis zu 300 Euro.

11. Dezember 2015

Ich erhalte eine Strafverfügung, wonach insgesamt drei Verwaltungsstrafen von je 50 Euro verhängt werden (nach drei verschiedenen Gesetzen). Vollkommen zu Unrecht, wie ich und Zeugen meinen.

20. Dezember 2015

Unter Einhaltung der 14-tägigen Einspruchsfrist richte ich meinen Einspruch an die Polizei Wien.

24. Dezember 2015

Eine weitere Verwaltungsstrafe über 75 Euro, diesmal von der MA58 Wasserrecht, schneit mir ins Haus.

27. Dezember 2015

Österreich ruft bei mir an.

28. Dezember 2015

Es erscheint ein Artikel in Österreich, diesmal mit Namensnennung UND meinem Foto. Wir sind inzwischen bei 30 minutes of fame.

3. Jänner 2016

Ebenfalls wieder unter Einhaltung der 14-tägigen Einspruchsfrist richte ich meinen Einspruch an die MA58—und zwar mit fast demselben Wortlaut wie zuvor bei der Polizei. Besonderer Dank gilt meinen Freunden Copy und Paste.

17. Mai 2016

Bei einer Vorladung zu einem Rechtshilfeverfahren für einen anderen Flashmob-Teilnehmer erzähle ich die Chronik der Ereignisse vom 1. Dezember zum gefühlten 35. Mal. So muss sich eine Band nach den ersten zwei Monaten auf Tour fühlen.

10. Juni 2016

Ich erhalte Antwort auf meinen Einspruch. Die Polizei Wien schickt mir nach 173(!) Tagen ein 17-seitiges(!) und höchst redundantes Protokoll mit der “Aufforderung zur Rechtfertigung”. Diese kann schriftlich oder nach telefonischer Terminvereinbarung direkt im Kommissariat erfolgen.

13. – 15. Juni 2016

Ich versuche drei Tage lang zu verschiedenen Uhrzeiten, unter der angegebenen Nummer jemanden zu erreichen. Ohne Erfolg. Niemand hebt ab. Nicht mal eine beschissene Warteschleifenmusik.

15. Juni 2016

Ich schreibe eine Mail an das Kommissariat, in dem ich auf meine erfolglosen Bemühungen verweise. Mit der Bitte um Rückruf.

27. Juni 2016

Ich erhalte tatsächlich einen Rückruf. Nach 12 Tagen. Weil “der Platz in der Zeit nicht besetzt” war. Einfach so. Steuergeld bei der Arbeit. Ich vereinbare den 25. Juli, denn ein früherer Tag ist einerseits laut Terminplan der Polizei und andererseits wegen meinem Urlaub nicht möglich. Hätte ich die fraglichen 150 Euro gleich nach Erhalt der Strafverfügung auf ein Sparbuch gelegt (zur Spitzenverzinsung von 0,8 Prozent), könnte ich mich jetzt abzüglich KESt über 45 Cent Zinsen freuen.

25. Juli 2016

Ich erscheine persönlich am Kommissariat und gebe, routiniert wie Peter Rapp, meine Sicht der Dinge zu Protokoll. Erneut.

28. Juli 2016

Ich erhalte per Post Bescheid, dass die drei Verfahren von der Polizei eingestellt wurden. Bäm!

Das ist vielleicht nicht viel, aber schon mal mehr, als man in manchen anderen Ländern erwarten könnte.

Nach insgesamt 240 Tagen hat die langweiligste Telenovela der Welt also ein Ende. Ich muss nichts zahlen. (Das Verfahren mit der MA58 ist noch am Laufen, wird aber voraussichtlich ähnlich enden.) Ich kann mich also nicht nur als moralischer Sieger fühlen, sondern auch mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist merklich gestärkt.

Das System, wie der geneigte Aluhutträger gerne sagt, hat also die schwache Beweislage seitens der Polizei und meine Bürgerrechte gründlich abgewogen und—in dubio pro reo—einfach drauf geschissen, mir weiter Geld für etwas rauszuleiern, was ich nicht getan habe. Das ist vielleicht nicht viel, aber schon mal mehr, als man in manchen anderen Ländern erwarten könnte.

Ärgerlich ist im Nachhinein nur, wie viel Zeit auf diversen Ämtern die ziemlich überzogene Polizeiamtshandlung gekostet hat—nicht nur mich, sondern auch die anderen Angezeigten. Also: Kennt eure Rechte, dann könnt ihr in strittigen Fällen oft schon per Mail aus einem Verfahren rauskommen. Oder, wenn ihr schlechte Karten oder wirklich Scheiße gebaut habt, zumindest eine komfortable Ratenzahlung rausschlagen. Dazu sind nur wenige Dinge nötig, die sich auch ohne juristische Vorbildung hinbekommen lassen.

Broadly: Wie Popstars auf den Kesha-Prozess reagieren

  • Prüfe die Gesetzeslage. Der deiner Anzeige zugrundeliegende Paragraf wird immer angeführt und lässt sich ganz leicht googlen. Hier lässt sich oft schon erkennen, ob die Anschuldigungen auf wackeligen Beinen stehen oder nicht—und ob ein Formfehler vorliegt.
  • Nutze Rechtsmittel. Ein Einspruch ist immer möglich. Dieser sollte wahr(!), klar verständlich, fehlerfrei, sachlich und vor allem mit einem Mindestmaß an Höflichkeit formuliert sein.
  • Halte Fristen ein. Achte auf Postweg, Feiertage und vor allem den Poststempel der erstmaligen Zustellung; der ist nämlich entscheidend für die meist 14-tägige Einspruchsfrist.
  • Lass dir helfen. Wenn du dich in Gesetzestexten heillos verirrst oder Schwierigkeiten beim Aufsetzen von Schreiben hast, lass dir von Jus-Studenten, Deutsch-Vorzugsschülern oder Vorgesetzten helfen. Profitipp: Ein Sechser-Tragerl, eine Flasche Wein oder andere Rausch-Tauschmittel erhöhen die Motivation oft ziemlich schnell.
  • Protokolliere alles. Hebe deine Korrespondenz auf, speichere deine Mails und Word-Docs, du musst immer Überblick bewahren. Denn ein Amt vergisst nicht. Nie.
  • Geduld bringt Rosen. Die Mühlen der Ämter mahlen langsam, aber gründlich. Komplexe Sachverhalte—wie in meinem Fall viele parallele Verfahren oder kafkaeske Abwesenheiten—ziehen Dinge in die Länge. Und: es gibt lange Fristen von ein bis zwei Jahren, was die vorgeschriebene Maximallaufzeit von Verfahrensschritten betrifft. Seht euch nur an, wie lange schon bei KHG herum getan wird. Und selbst wenn es am Ende nichts gebracht hat, lässt sich die Zeit nutzen, um sicherheitshalber etwaige Doch-noch-Kosten anzusparen. Die man dann im Falle der erfolgreichen Abwehr so richtig gut auf dem Kopf hauen kann. So richtig.

Und wenn wirklich gar nichts mehr hilft, wende dich an Medien, Facebook, Twitter und Blogs. Medialer Druck hat schon so manches Verfahren vorzeitig beendet. Wie ihr seht, habe ich mich selbst streng an meine eigenen Regeln gehalten; und jetzt gibt es entsprechende Gönnung.

Übrigens: Es ist der dritte August 2016. Die Rolltreppe ist schon wieder außer Betrieb. Das Drama geht weiter.