Punk-O-Rama war der perfekte Soundtrack für die besten Jahre deines Lebens

Die Punk-O-Rama-Sampler waren das Beste, was meinem uniformen Musikgeschmack passieren konnte. Sie packten mich am kindlichen Tom Tailor-Shirt und schrien mir ins verpickelte Gesicht, sofort das Radio auszumachen und mich abseits der Charts nach Musik umzuschauen. Sie zeigten mir Punk, sie zeigten mir Hardcore – sie desozialisierten mich vom Mainstream und resozialisierten mich mit der alternativen Musikszene. Und so fing das an:

In jedem Leben eines Musikfans sollte es einen Punkt geben, an dem er einfach keinen Bock mehr auf glattpolierte Radiobeats, sondern auf ungeschliffene Gitarrenriffs hat. Bei mir setzte die Neugier schleichend ein. Erst als ich 13 Jahre alt war bin ich im ProMarkt zum ersten Mal bewusst die Regale für “Alternative“ entlang geschlendert und habe mir interessiert die CDs angeschaut. NOFX kannte ich vom Namen her schon von den älteren und dadurch automatisch cooleren Mitschülern – den “Punks“ eben. Einer von denen hatte immer den “Mons Tour“-Hoodie an (der Dunkelblaue mit dem großen Auge). Aber Bands wie Rancid, Millencolin, Refused, Bad Religion, Death By Stereo, Dropkick Murphys, Pennywise, Bouncing Souls oder Hot Water Music waren mir völlig fremd. Wenig Taschengeld und dann blind ein Album kaufen? Erschien mir nach dem Europop von Eifel 65 ein paar Jahre zuvor als zu riskant. Dafür war ich dank Maxi-CDs und One-Hit-Wondern einfach zu paranoid.

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Meine geizigen Augen blieben auf einem roten Cover mit einem schwarz-weißen Männchen mit einer Satelliten-Schüssel als Kopf hängen. Die Aufschrift: Punk-O-Rama 8. Auf der Rückseite lachten mich genau die Bands an, deren Alben ich gerade zum ersten Mal gesehen hatte. Ein Doppel-CD-Sampler, der halb so teuer wie eine CD ist, die sich vielleicht als eine bodenlose Enttäuschung herausstellen wird? Guter Deal.

Bereits der erste Track “I Am Revenant“ von The Distillers blies mich völlig weg. Wie konnte Frauengesang nur so entzückend räudig sein? Vorher war das Eheste, was ich mit Punk verband Green Day oder Sum 41. Jetzt eröffnete sich mir eine Welt, die um ein Vielfaches pissiger, dreckiger und energiegeladener war, als alles zuvor. Dann hörte ich endlich einen Song von NOFX und war verblüfft, dass mir diese Musik der “Punks“ ja sogar gefiel. Sogar verdammt gut gefiel. So gut, dass ich mir bald darauf The War On Errorism von NOFX kaufte, es liebte und mir immer mehr NOFX-Alben und Punk-O-Ramas besorgte, das dann auch später auf Rancid, Millencolin und Death By Stereo ausweitete und mich mit Shirts und Hoodies bei EMP (ich war jung und dumm), später Trashmark und Green Hell eindeckte.

Aber was ist denn eigentlich dieses “Epitaph“, dessen Grabstein-Logo da immer stolz auf den CDs prangte? Ursprünglich wurde das kalifornische Independent-Label von Bad Religion-Gitarrist Brett Gurewitz gegründet, um die Releases seiner Band selbst zu veröffentlichen. Irgendwann wurden NOFX gesignt, verkauften ein Haufen Platten, immer mehr lokale Bands kamen hinzu und schließlich wurde 1994 der erste Label-Sampler namens Punk-O-Rama rausgehauen. Endlich waren die fünf Finger des kalifornischen Punks zur erhobenen Faust geballt auf einer CD vertreten: The Offspring, Bad Religion, NOFX, Rancid und Pennywise.

Schnell wurde klar: Der ehemals unangepasste Punkrock flutete langsam, aber unaufhaltsam in den Mainstream. Egal ob “Self Esteem“, “Infected“, “Leave It Alone“, “Salvation“ oder “Same Old Story“, alle Bands sollten in den Folgejahren ihren Durchbruch schaffen und zu Größen des Genres werden. Das einstige Hinterhaus-Label wuchs. Irgendwann gründete Rancids Tim Armstrong sein eigenes Epitaph-Sub-Label Hellcat Records, um die ganzen Ska-, Oi- und Psychobilly-Bands einzusammeln, und das schwedische Label Burning Heart Records brachte via Epitaph die blühende skandinavische Punkszene um Turbonegro, Millencolin, Refused, No Fun At All und Satanic Surfers nach Nordamerika. Um die Jahrtausendwende stand fest: Epitaph hatte sich als das größte Punk-Label der Welt etabliert und ihr Sampler Punk-O-Rama war sein akustisches Werbeblatt.

Untrennbar mit dem Punk-Sound des Labels verbunden: die Soundtracks der Tony Hawks Pro Skater-Videospiele. Kein Wunder, erlebte doch auch zu dieser Zeit der Skateboard-Hype seinen vorläufigen Höhepunkt. Einfach jeder skatete. Und wenn er nicht gerade NWA dabei hörte, war es eben Pennywise. Punkrock klang eben nicht nur nach metallenen Achsen, die über Geländer kreischten und harten Gummi-Rädern, die über Asphalt schredderten, auch in den Musik-Videos wurde geskatet. Profi-Skateboarder Steve Caballero gründete sogar seine eigene Punkband: The Faction. Fast jedes verdammte Skateboard-Video wurde mit Punkrock unterlegt. Also konntest du auf der Playstation zu Bad Religion, Millencolin, Guttermouth, The Bouncing Souls, Flogging Molly, Hot Water Music und The Offspring skaten und danach mit deinem eigenen Brett auf der Straße Ollies machen, während genau die gleichen Bands aus einer Punk-O-Rama in dein Ohr krachten.

Ironischerweise war auf meiner ersten Punk-O-Rama auch das erste Post-Hardcore-Lied drauf, dass ich je gehört habe: Matchbox Romance mit “The Greatest Fall“. Da wurde tragisch gesungen und gleichzeitig schrie sich jemand die Seele aus dem Leib. Erst Jahre später würde ich, wie der Rest vieler ehemaliger Skater-Kids, dafür ein Ohr haben. Aus der Wut wurde selbstbemitleidendes Geheule. Bezeichnend für die traurige Richtung, die Epitaph in den folgenden Jahren gehen sollte, bezeichnend für die Entwicklung der ehemaligen Punkrock-Live-Institution Warped Tour, bezeichnend für das komplette Punk-Vermächtnis, das teilweise zu Eyeliner tragenden Vollidioten mutierte und sich heute in nostalgischen Konservativen ausdrückt.

Und trotzdem: Niemand vergisst die Musik, die er gehört hat, als er an Sommerabenden durch die Stadt mit einem Skateboard gefahren ist, sich zum ersten Mal mit seinen Freunden betrunken hat und die laut durch den Proberaum der ersten Band schallte, weil man genauso klingen wollte wie die da auf dem Silberling. Danke, Punk-O-Rama.

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