Der FemDom liegt in einem Dorf, eine Stunde vom Haus entfernt, in dem ich aufgewachsen bin. In meinem Kinderzimmer aufwachen und mich auf den Weg zum Domina-Praktikum zu machen, fühlt sich merkwürdig an.
Als ich im zweiten Stockwerk stehe, geht ein Mann mit Sporttasche über der trainierten Schulter an mir vorbei, öffnet die Tür vor uns und fragt:
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“Musst du auch hier rein?”
“Was heißt denn ‘hier’?”, frage ich.
“Swiss Sports?”
“Nee, dann nicht.” Er hebt die Augenbrauen, dreht sich um und lässt die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Ich frage mich, ob er vom Dominastudio auf derselben Etage weiß und mir die Aufregung ansieht. Vielleicht denkt er, ich gehöre nicht hierher. Bin ich dem Alltag einer Domina gewachsen? Ich weiß, dass ich heute aus mir rausgehen muss, und dann ist sie da, die Angst.
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Im Reich von Dawina bin ich die Assistentin. Mit diesem Titel gewährt sie mir Einlass in ihre Welt als Prinzessin Zuleika. Bevor der erste Gast kommt, sitzen wir in einem Zimmer mit Bett und Spiegel an der Decke. Die Fenster sind abgedeckt. Ihr Koffer liegt aufgeklappt auf einem Sideboard und sie entschuldigt sich für ihr Chaos.
Als wir das Desinfektionsmittel auf unseren Fingern verteilen, fragt Dawina, ob ich Angst habe.
“Ich bin keine klassische Domina. Ich würde mich selbst eher als Bizarrlady bezeichnen. Ich verstelle mich nicht. Meine Gäste merken, wenn ich auf etwas keine Lust habe. Oft habe ich zum Beispiel keine Lust, hohe Schuhe zu tragen, und mache es mir stattdessen bequem.”
Sie erzählt aus ihrer Kindheit: “Als Kind war mein Vorbild Hugh Hefner. Ich weiß gar nicht, ob ich das sagen darf als Feministin.” Dawina arbeitete während ihres Psychologiestudiums erst als Fetisch- und Latexmodel und dann als Escort. Als ein Kunde drohte, ihrem Vater davon zu erzählen, beschloss sie, offen mit ihrer Arbeit umzugehen. Auf ihrer Webseite schreibt sie über ihren Arbeitsalltag.
Als wir am Eingang stehen und das Desinfektionsmittel auf unseren Fingern verteilen, fragt mich Dawina, ob ich Angst habe.
“Nein, es ist alles nur sehr neu für mich”, antworte ich und merke, schon während ich es sage, wie wenig überzeugend ich klinge. Als der erste Gast das Studio betritt, bin ich überrascht. Er küsst Dawinas Hand und schüttelt meine. Ich hatte mir den klassischen Gast anders vorgestellt, wie einen älteren Banker mit Ehefrau in einem Haus an der Zürcher Gold Coast. Der Gast trägt lange Haare und eine Lederweste mit Schnürung. Er sieht aus wie ein Philosophiestudent, der in seiner Freizeit bei Life-Action-Role-Plays teilnimmt. Zuleika nennt ihn den Ritter.
“Was ist anders an mir?”, fragt Zuleika den Gast.
Er grinst und verdreht die Augen.
“Die Schuhe”, sagt er leise.
Seine Stimme passt nicht zu den trainierten Armen. Prinzessin Zuleika führt uns in den großen Raum am anderen Ende des Flurs, der Raum sieht aus wie eine Mischung aus Folterkammer und Stolz und Vorurteil. Am einen Ende ein Rad, in dem man jemanden festschnallen kann, am anderen Ende ein Kamin und eine Samtcouch. Der Ritter soll kurz duschen und sich bis auf die Unterhose ausziehen. Dann kniet er vor uns auf dem Teppich, Prinzessin Zuleika zieht ihm eine Augenbinde über.
“Erzähl der Assistentin mal, was während der letzten Wochen deine Aufgabe war.”
“Ich lebe seit zwei Monaten keusch. Ich soll mich mit meinem Körper auseinandersetzen.”
Prinzessin Zuleika grinst: “Und wie hat sich das angefühlt?”
“Der zweite Monat war schwer. Den ersten Monat lang habe ich aber gar nichts gemerkt. Ich habe viel Nietzsche gelesen”, sagt er.
“Manchmal bestrafe ich dich stellvertretend fürs Patriarchat. Für jedes Schwanzbild, das ich bekomme”, sagt Prinzessin Zuleika und fährt mit den Fingern durch die Peitschen und Flogger, die an der Wand hängen.
Je lauter das Pfeifen in der Luft, desto schmerzhafter ist vermutlich der Schlag.
“Welche Peitsche mochtest du das letzte Mal so gerne?”
Zuleika bittet mich, vier Peitschen auszusuchen, und nimmt auch vier von den Haken. Als sie meine Auswahl sieht, verkündet sie: “Die Assistentin ist ein sadistisches Miststück.”
Wir spannen die Hände des Ritters in Lederarmbänder und befestigen sie an einem Haken, der von der Decke hängt. Zuleika bittet ihn, eine Zahl zu sagen.
“39”, sagt er.
“39?”, sagt sie entgeistert.
“Ja, wegen der 39 römischen Strafen.”
“Da kenne ich mich nicht aus. Ich müsste mehr Filme über das alte Rom schauen.”
“Das ist aus Nymphomaniac von Lars von Trier.”
“Wir machen zehn.”
Prinzessin Zuleika lächelt verstohlen, als sie ihm den Knebel vors Gesicht schiebt. Er seufzt und lässt ihn sich in den Mund schieben. Dann bekommt er je zehn Hiebe mit jeder der acht Peitschen.
Er spannt die Muskeln an, wenn er die Peitsche durch die Luft sausen hört. Je lauter das Pfeifen in der Luft, desto schmerzhafter ist vermutlich der Schlag. “Oh, jetzt habe ich ganz vergessen zu zählen”, sagt Prinzessin Zuleika, schaut rüber zu mir und hebt unschuldig ihre Augenbrauen. “Und die Assistentin hat auch nicht mitgezählt. Wir fangen von vorne an.”
Irgendwann reicht mir Prinzessin Zuleika die Peitsche. Ich hole aus und versuche, die ganze Kraft aus meinem Oberarm in die Spitze der Peitsche zu leiten. Es klappt nicht wirklich. Nach ein paar wenigen Schlägen löst sie mich wieder ab. Ich hören den Ritter lachen. Sie bezeichnet meinen Versuch als “goldig” und ich ärgere mich, nicht geübt zu haben.
Wo das Leder die Haut des Ritters getroffen hat, werden nun dunkelrote Striemen sichtbar. Ich höre sein schweres Atmen. Immer wieder soll der Ritter per Handzeichen zeigen, wo seine Schmerzen auf einer Skala von eins bis zehn gerade liegen. Fünf, zeigt er.
Zuleika benutzt keine Codeworte. “Ich arbeite lieber mit einem Zahlen- oder Ampelsystem. Mit einem Codewort läuft man Gefahr, dass jemand sich nicht traut, es zu sagen, oder es sogar vorsorglich gesagt wird. Ich beobachte lieber genau. Ich kenne meine Gäste ja auch.”
Prinzessin Zuleika kennt den Ritter gut. Als er mit den Fingern zuckt, fragt sie, ob er seine Hände noch spürt und kurbelt den Haken ein paar Zentimeter tiefer, damit die Blutzirkulation wieder angeregt wird.
Sie legt ihren Kopf auf seine Brust, um ihn zu beruhigen, und nimmt ihm die Augenbinde ab. Ich frage mich, warum er die Augen zu lässt. Ich denke daran, dass mir ein Freund mal gesagt hat, dass Leute ehrlicher sind nachts. “Die fühlen sich einfach sicherer im Dunkeln.” Und ich frage mich, ob der Ritter sich mit Augenbinde auch sicherer fühlt und ob er deshalb unter Schmerzen auch etwas von sich preisgegeben hat.
Hast du gemerkt, dass er seinen Körper gar nicht richtig spürt? Nur dieser starke Schmerz holt ihn mal aus seinem Kopf raus.
Wir wechseln in den Raum auf der linken Seite des Flurs und der Ritter macht es sich auf einer Liege bequem, einer Art Himmelbett aus Metall. Prinzessin Zuleika zieht ihm eine Sturmmaske über das Gesicht. Mit Ledergurten fixiere ich sein linkes Bein und seinen linken Arm auf der Liege. Zuleika kümmert sich um die andere Seite.
In einem Kreis platziert sie Nadeln um seinen linken Nippel. Dann frag sie mich, ob ich mich auch traue. Ich nicke. Ich soll es erst einmal an ihr versuchen. Sie sprüht Desinfektionsmittel auf ihr Dekolleté, zwischen Zeigefinger und Daumen klemmt sie etwas Haut über ihrer linken Brust. Dort sticht sie die Nadel durch, lässt los. Haut und Nadel liegen flach unter ihrem Schlüsselbein. “Jetzt du.” Sie zeigt auf die Hautstelle unter ihrem rechten Schlüsselbein und streckt mir das Händedesinfektionsmittel entgegen. Meine Finger kneifen ihre Haut, meine Hand und ihre Haut sind noch nass vom Desinfektionsmittel und ich muss Kraft aufwenden, um nicht zu verrutschen. Ich setze mit der Nadel an. Das Gefühl ist mir fremd, als wäre es nicht meine Hand, die gerade Haut durchsticht. Es fühlt sich so an, wie sich im Spiegel den Rücken einzucremen.
Jetzt ist der Ritter an der Reihe, von mir gestochen zu werden. Der Track, der aus den Lautsprechern tropft wie Öl, schwer und weit weg, klingt wie die Musik, die bei Wer wird Millionär gespielt wird, während sich der Kandidat für eine Antwort zu entscheiden versucht. Ich setze die Nadel an seinem Unterarm an und fühle mich auch so, als würde ich auch versuchen, das Richtige zu tun.
Die erste Session ist vorbei, ich habe gar nicht gemerkt, dass schon über vier Stunden vergangen sind. Während der Ritter sich wieder anzieht, räumen wir auf. “Der ist total verkopft, der Ritter. Hast du gemerkt, dass er seinen Körper gar nicht richtig spürt? Nur dieser starke Schmerz holt ihn mal aus seinem Kopf raus”, sagt Prinzessin Zuleika, während wir die Ledergurte desinfizieren.
Die Pause bis zum nächsten Gast verbringen wir in der Küche. Der Ritter steckt den Kopf durch die Tür, um sich von mir zu verabschieden. Er sagt mir, dass ich es gut gemacht hätte.
“Danke. Ich hatte auch echt Spaß.” Ich bin so stolz, dass es mir fast unangenehm ist.
Neben uns sitzt eine Kollegin aus Berlin am Küchentisch. “Haben wir eigentlich noch Waschmaschinen-Tabs?”, fragt Zuleika. “Sonst schreib ich ihm mal, dass er welche mitbringen soll.” Sie meint den nächsten Gast.
Der zweite Gast hat die Waschmaschinentabs mitgebracht. Zuleika nennt ihn “die Zofe”. Zur Begrüßung küsst die Zofe meine Hand mit seiner Maske, auf der rosa Lippen aufgedruckt sind. Die einzigen sichtbaren Gesichtszüge sind die Augen und die blonden Brauen darüber. Ich frage mich, wie er unter dieser Maske aussieht. Im Latex-Raum hängt er die gewaschenen Latex-Outfits auf Bügel und stülpt Masken über die Styroporköpfe. Ich betrachte mich im Spiegel, der die ganze linke Wand des Raums ausfüllt. Es ist heiß und ich habe mir seit heute morgen den ganzen Mascara vom Gesicht geschwitzt. Die durchsichtigen Plastikabsatzschuhe der Zofe beschlagen.
Als würde ich mit erhobenem Schwert in die Schlacht ziehen, führe ich den Kreis über den Screen.
Wir wechseln in einen Raum, der eingerichtet ist wie eine Arztpraxis. Die Zofe liegt mit gespreizten Beinen auf dem gynäkologischen Stuhl. Epische Filmmusik dröhnt aus den Boxen. Zuleika drückt mir ihr Handy in die Hand. Auf dem Screen sehe ich einen Kreis, den ich auf einer Skala in alle Richtungen bewegen kann. “Diese App ist mit dem Buttplug verbunden. Die Wellen, die du hier zeichnest, kontrollieren die Vibration.” Die Musik verleiht meiner Aufgabe mehr Nachdruck. Als würde ich mit erhobenem Schwert in die Schlacht ziehen, führe ich den Kreis über den Screen.
Als Nächstes zeigt mir Prinzessin Zuleika eine Praktik, die sich Heavy Rubber nennt. Sie schließt einen Schlauch an das Ventil an der Jacke der Zofe an. Surrend wird die Jacke aufgepumpt. Die aufgerissenen Augen scheinen weit weg zwischen den glänzenden Bergen Gummi. Zuleika fragt, ob alles in Ordnung ist, ich höre ein Zittern in der Stimme der Zofe: “Nein, ich glaube nicht.” Ich wende meinen Blick ab und denke an Dinge, die ich sagen könnte, die mich möglichst wenig bedrohlich scheinen lassen.
Als wir fertig sind, setzen Zuleika und ich uns im Nebenzimmer auf eine Bank. Auf dem Boden trocknen Latexoberteile.
“Eine zweite Person war gerade zu viel für ihn. Er kam einer Panikattacke sehr nahe”, sagt sie.
Das schlechte Gewissen macht sich in meinem Magen breit.
“Wir können es an dieser Stelle auch abbrechen. Ich will auf keinen Fall, dass meine Anwesenheit ihn so aufbringt.”
“Er muss das lernen. Wir machen jetzt etwas, was in beruhigt.”
Die Zofe hat die Maske abgelegt. Endlich sehe ich sein Gesicht: Er hat blonde Locken und eine markante Nase. In einem Becken mit Seife wäscht er jetzt Zuleikas Füße. “Meine neuen Schuhe haben abgefärbt. Schau dir mal meine Fußsohlen an.”
Wahrscheinlich ist das Warten auf den Schmerz schlimmer als der Schmerz selbst.
Er sagt, dass es einfacher gewesen wäre, hätte er mich schon kennengelernt, bevor er die Maske angezogen hat. Aber auch die Hitze sei unerträglich gewesen.
Zuleika grinst und fragt, ob er sich noch an seine erste Session erinnere. Zitternd habe er vor der Tür gestanden. Seitdem hat sich einiges verändert. Endlich ist er zu Hause ausgezogen. Mit Zuleika war er schon im Kino, in Restaurants, im Baumarkt. Mit ihr überwindet er seine Ängste. Auch bei der Arbeit traut er sich endlich, öfter Nein zu sagen.
Während er weiter Zuleikas Füße massiert, fragt sie mich, ob ich die Elektrostimulation ausprobieren möchte. Normalerweise wird die Estim vaginal oder anal benutzt, aber Zuleika klebt mir die Patches auf den Rücken. Die Kabel führen zu einem Gerät mit Drehreglern. Ich denke daran, wie der Ritter vor jedem Peitschenhieb seine Muskeln anspannt hat. Wahrscheinlich ist das Warten auf den Schmerz schlimmer als der Schmerz selbst. Zuleika dreht am Knopf. Zuerst ist es nur ein Summen, das durch meine Schultern zieht. Dann sind es Wellen. Es fühlt sich an, als wäre mein ganzer Körper in Bewegung. Es zwickt, ist aber nicht unangenehm.
Die Session ist zu Ende. Prinzessin Zuleika und ich umarmen uns zur Verabschiedung. “Bevor du dich für eine Session mit irgendeinem Dom-Typen auf Tinder triffst, kommst du lieber wieder zu mir, OK?” Ich lache und nicke. Im Treppenhaus fühle ich mich wie betrunken. Schwindelig, erschöpft, zufrieden. Vielleicht nehme ich ihr Angebot bald an.
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