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Kurz bevor Justino Mora in die sechste Klasse kam, floh seine Familie vor dem gewalttätigen Vater von Mexiko nach Kalifornien. Mit der Mutter und den beiden Geschwistern überquerte er die Grenze nach Texas. Von dort ging es weiter nach Los Angeles, wo sie bei seiner Tante in einem Arbeitervorort Unterschlupf fanden. Am ersten Tag in seiner neuen Schule bestaunte er die imposanten Desktoprechner.
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“Ich wunderte mich über die vielen Fernseher im Klassenzimmer”, erzählt er mir bei unserem kürzlichen Treffen vor seiner ehemaligen Schule. Er hatte noch nie einen Computer gesehen, doch es war der Beginn einer Obsession. Seine Freunde waren schwer beeindruckt, als er schließlich den Webbrowser der Schule hackte und die Sperre für Onlinespiele aufhob. Der 27-Jährige ist heute Programmierer und plant ein Masterstudium am MIT. Doch erst muss er etwas gegen Donald Trump unternehmen.
Mora ist Mitgründer von Undocumedia. Das gemeinnützige Projekt informiert seit 2014 über das DACA-Programm (Deferred Action for Childhood Arrivals) aus der Obama-Ära, das derzeit 750.000 junge undokumentierte Menschen in den USA vor der Abschiebung schützt. Während Trumps migrantenfeindlicher Wahlkampf ihn ins Weiße Haus katapultierte, entwickelte sich Undocumedia zu einer wichtigen Onlinepräsenz mit Hunderttausenden Followern auf Instagram und Facebook. Undocumedia postet alles von lustigen Memes über Einwanderung bis hin zu #KnowYourRights-Livestreams, in denen Anwälte Ratsuchenden erklären, wie sie ihre Abschiebung verhindern können.
“Unseren Zulauf verdanken wir nicht Trump”, sagt Mora. “Der Grund ist vielmehr ein gesellschaftliches Erwachen. Trump ist nur ein Symptom für alles, was in den USA falsch läuft: den tief verwurzelten Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit, den Einfluss des Kapitals auf die Politik, die wachsende Einkommenskluft, die Gefängnisindustrie.”
Als eine seiner ersten Amtshandlungen unterzeichnete Trump ein Dekret, das die Ausweisung so gut wie aller undokumentierten Migranten zur Priorität machte. Damit hob er die Praxis der Obama-Ära auf, vor allem Straftäter abzuschieben. Die Einwanderungspolizei geht seither offensiv vor und verhaftet sogar Personen, die wie Mora unter den Schutz des DACA-Programms fallen, weil sie als Kinder in die USA gekommen sind. Sie werden DREAMer genannt, in Anlehnung an den DREAM (Development, Relief and Education for Alien Minors) Act, ein 2010 gescheitertes Gesetz, das 2,1 Millionen unregistrierten jungen Menschen die Einbürgerung ermöglicht hätte. Im Widerstand gegen Trump sind sie besonders aktiv.
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So wie der amtierende Präsident Twitter als Waffe gegen seine Kritiker und zur Kontrolle der Berichterstattung einsetzt, nutzen die DREAMer die Macht der sozialen Medien, um zu beeinflussen, wie Migranten wahrgenommen werden. Sie verbünden sich auch mit anderen Gruppen, die für soziale Gerechtigkeit eintreten. “Wir haben aus unseren Fehlern gelernt”, sagt Mora. “Die Einwanderungsreform ist vor allem an der fehlenden Unterstützung durch andere Bevölkerungsgruppen gescheitert.” Er verweist auf einen aktuellen Undocumedia-Post über einen Fall von Polizeigewalt im kalifornischen Anaheim, der einen Aufschrei auslöste. “Wir sitzen alle im selben Boot”, sagt er. “Wenn eine Community angegriffen wird, betrifft es auch alle anderen.”
Die DREAMer-Bewegung entstand in den frühen 2000ern im Kampf um gleiche Studiengebühren für Migranten. Sie erhielt immer mehr Zulauf, als die Zahl der Abschiebungen unter George W. Bush und später Obama stieg. Cristina Jiménez ist die Mitgründerin und Geschäftsführerin von United We Dream, der “größten von jungen Immigranten geleiteten Organisation in den USA”. Sie erklärt, DREAMer hätten eine Praktik der LGBTQ-Bewegung übernommen: das Coming-out. Sie teilen ihre persönliche Geschichte, die manchmal sogar auf YouTube oder Facebook viral geht.
“Viele von uns haben schon in Sorge gelebt, dass wir oder unsere Familien abgeschoben werden könnten”, sagt Jiménez. “Irgendwann haben wir den Mut gefunden zu sagen, dass wir keine Papiere und keine Angst haben.” Auch Mora outete sich als unregistriert. 2008 machte der damals 18-jährige Student seine Geschichte publik, obwohl er befürchtete, die Einwanderungspolizei könnte ihn und seine Familie aufspüren. Als wir im März durch die Straßen seiner Wahlheimat fahren, klingt er allerdings entspannt. Die Familie habe nie vorgehabt, in die USA auszuwandern, doch als Moras gewalttätiger Vater schließlich damit gedroht habe, die Mutter zu töten, sei sie mit ihren Kindern geflohen. Mora war damals elf.
“Wir hatten versucht zu fliehen, aber wir waren nicht ausreichend vorbereitet”, erinnert sich Mora. Der zweite Fluchtversuch gelang, doch das Leben in Amerika war zunächst schwierig. Moras Mutter hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser, die Kinder hatten Probleme in der Schule. Die erste Schule lehnte die Geschwister ab, weil sie kein Englisch sprachen. “Die USA gelten als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der Freiheit und Gerechtigkeit. Das stimmt aber nur bedingt”, sagt er.
“Unseren Zulauf verdanken wir nicht Trump. Der Grund ist vielmehr ein gesellschaftliches Erwachen.”
Mora schätzt, mindestens 70 Prozent seiner Mitschüler seien undokumentierte Migranten gewesen, die Angst vor der Abschiebung “ihr ständiger Begleiter”. Doch Mora lernte Englisch und schrieb gute Noten, beim Highschool-Abschluss gehörte er zu den Jahrgangsbesten. Anschließend studierte er am örtlichen Community College Informatik und engagierte sich für Migrantenrechte. Im Gegensatz zu Washington verabschiedete die kalifornische Regierung ein DREAM-Gesetz, was Mora die Mittel verschaffte, um an der University of California in L.A. Politikwissenschaften zu studieren. Seit 2015 hat er auch diesen Abschluss in der Tasche.
Als das Weiße Haus im Mai 2013 versuchte, ein Einwanderungsgesetz durch den Kongress zu bringen, lud Präsident Obama sieben junge Aktivisten ins Oval Office ein, darunter einige DREAMer. Eine kalifornische Gruppe für Migrantenrechte nominierte Mora. Zunächst überlegte er ernsthaft, die Einladung wegen der Abschiebungsbilanz der Obama-Regierung abzulehnen. Schließlich nahm er sie aber an, denn er wollte Obama auffordern, “sein Versprechen einer Einwanderungsreform zu halten”. Im November desselben Jahres nahm er an einem “Hackathon” in der San Francisco Bay Area teil, bei dem Programmiererteams in weniger als 24 Stunden Software entwickeln mussten. Der Wettbewerb stand nur DREAMern offen. Mora führte ein Team an, das eine App namens Push4Reform entwickelte. Das Programm vereinfacht die Kontaktaufnahme mit Kongressabgeordneten, sodass Nutzer Druck für die Einwanderungsreform machen können. Die Idee wurde mit dem “Best Advocacy”-Preis ausgezeichnet, und Mora durfte die Organisatoren des Hackathon persönlich treffen, darunter die Gründer von Dropbox, LinkedIn und Facebook. Moras App gibt es auf der Website von FWD, einer von Mark Zuckerberg und anderen Silicon-Valley-Größen gegründeten Organisation zur Reform des US-Einwanderungsrechts.
Ein Jahr später gründeten Mora und Iván Ceja, ein weiterer Student aus der Gegend um L.A., gemeinsam Undocumedia. Der Journalist und Pulitzer-Preisträger Jose Antonio Vargas, der sich auch als unregistriert bekannt hat, lobt die Initiative als “die Stimme der undokumentierten Jugend”. “Sie ist von Undokumentierten für Undokumentierte”, betonte Vargas mir gegenüber.
Auf die Frage, ob Undocumedia nicht doch nur Gleichgesinnte anspreche, erwidert Mora, er wolle vor allem seine Community stärken. An dem Tag, den wir miteinander verbrachten, informierte er undokumentierte junge Kalifornier in einem Livestream über staatliche Beihilfen. Danach trafen er und Ceja sich mit einer Initiative für öffentliche Gesundheit, um eine Kampagne zu planen, die Undokumentierten erklären soll, “wie das Gesundheitssystem funktioniert und welche Leistungen sie in Anspruch nehmen können”.
Diesen Herbst möchte er sich beim Media Lab des MIT bewerben, um zu “erforschen, wie Tech gesellschaftliches Engagement fördern kann”. Doch aktuell konzentriert er sich darauf, der Hetze gegen Migranten entgegenzuwirken. Trumps Gleichsetzung von Einwanderern mit Kriminellen habe zu der Auffassung geführt, dass nur gewisse Undokumentierte einen legalen Status erhalten sollten. Mora will sich dafür einsetzen, dass Einwanderer nicht länger “in gute und schlechte eingeteilt werden”.
“Nicht alle jungen Unregistrierten sind akademische Überflieger. Im Grunde heißt es aktuell, nur solche hätten die Einbürgerung verdient. Das sollte sich ändern.”