Ich hatte ursprünglich schon mit einem kurzen Text zu Kobitos neuem Video „Lummerland“ begonnen, in dem Stichworte wie „Zeckenrap“, „TickTickBoom“ und „Renaissance (links-) politischer Musik“ fielen (ja, wirklich) und in dem ich darauf hinweisen wollte, dass bei all dem Kobito ja auch eine melancholisch-romantische Ebene in seiner Musik transportiert, wie man hier eben sehr gut sehen und hören kann. Aber dann bekam ich eine Email von ihm, in der er den Videodreh zu „Lummerland“ nacherzählt und zwar so unterhaltsam und spannend, dass ich jetzt einfach meine Fresse halte und seinen Text hier eins zu eins reinkopiere: Die Geschichte hinter Kobitos Videodreh zu „Lummerland“:
Die Planung
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Jens von Urban Tree und ich wollten ein Video zu Lummerland drehen. Wir wollen dafür losgelöste Bilder finden, Weite und Aufbruch, etwas Episches muss her. Beim Brainstormen fällt uns auf, dass wir das Videobugdet von Audiolith ja auch einfach für Flüge ausgeben können – und uns einen kleinen Abstecher in die Natur gönnen. Zehn Minuten später hat Schottland gewonnen: Rollende Hügel, grüne Ebenen und Whiskey. Flüge gebucht, zusammen gefreut, keine Probleme in Sicht.
Die Reisegruppe
Jens und ich, zwei Schlafsäcke, Isomatten, ein Zelt, Klamotten, Kameraequipment und eine Drohne – Aufbruch Richtung Schottland. Wir fliegen nach Edinburgh, einer verzauberten Erinnerung meiner Kindheit, von wo aus wir uns in die Highlands absetzen wollen. Vorher haben wir uns natürlich schlau gemacht – wir kennen alle Nationalparks in der unmittelbaren und mittelbaren Nähe, kennen die Wege und die Zugverbindungen, haben uns auf der Karte schöne Orte markiert und sind bereit für die Wildnis – theoretisch. Theoretisch im Sinne von Google Maps, Bildersuche, Reiseberichten und den offiziellen Websites. Es ist Dezember – die Temperaturtabellen sagen uns, dass wir uns warm anziehen müssen. Kein Problem, Skiunterwäsche und Pullis sind dabei, außerdem halten wir doch was aus. In Edinburgh angekommen schlafen wir bei der wunderbaren Kamila, einer Reggaeaktivistin aus Polen, und stapfen dann am nächsten Morgen in die Berge. Auftritt Realität.
Die Konfrontation
Jeder von uns trägt etwa 15 Kilo auf dem Rücken, in den Händen haben wir Tüten mit Essen für 4 Tage in der Abgelegenheit der Highlands, einen mobilen Gasherd haben wir uns auch zugelegt. Schwitzen für die Kunst, nichts Ungewöhnliches eigentlich. Wir klettern im Pentland National Park mühsam mit all dem Equipment auf die Spitze des höchsten Berges. Es weht ein unfassbar starker Wind, wir müssen uns mit aller Kraft dagegen lehnen. Oben angekommen bauen wir im letzten Tageslicht unser Zelt auf, richten uns ein und machen nur einen Shot in der untergehenden Sonne, danach wird es stockdunkel. Im Zelt ist es kalt, aber gemütlich, wir haben uns an der windstillen Seite des Bergkamms aufgebaut. Um 17.00 Uhr gehen wir schlafen – es ist nämlich wirklich überhaupt kein Licht vorhanden und wir haben nur eine Taschenlampe. Morgen soll es früh raus gehen.
Um etwa 6 Uhr morgens – nach einer Nacht, die wir vollständig bekleidet in unseren Schlafsäcken gefroren haben, unsere Jacken über uns und Mützen auf dem Kopf – dreht der Wind und das Zelt bricht nach kurzem Widerstand ein. GUTEN MORGEN! Während ich mit meinem Rücken die Zeltwand stabil halte, räumt Jens unser Zeug zusammen. Es ist noch immer dunkel, es ist noch immer unglaublich kalt. Ich schwöre, so scheiße bin ich noch nie geweckt worden. Wir schaffen es irgendwie runter vom Berg und flüchten in einen Golfklub, der schon offen hat: Kaffee und ganz viel Kaffee, vegetarische Haggies und noch einen Kaffee. Geld kann gerade keine Rolle spielen, wir sind dem Tod von der Schippe gesprungen. So sehen wir jedenfalls aus. Schottische Gastfreundschaft, keiner guckt uns schief an – und ich habe mir immerhin aus einer Rettungsdecke Isolierungen für meine Schuhe gemacht, das kann man sehen. Der Berg hat gewonnen. Das Theoretische Wissen hat verloren.
Umdenken
Zurück – wohin eigentlich? Wir rufen Kamila an und fragen, ob wir noch eine Nacht bei ihr bleiben dürfen. Sie freut sich scheinbar darüber und macht wieder ihr komplettes Zimmer frei – wir versprechen, als Gegenleistung am Abend was Gutes zu kochen. Das gelingt uns, getrunken wird auch. Schottland halt. Auch am nächsten Tag stecken uns der Wind und die Kälte noch tief in den Knochen – wir beschließen, den Plan zu ändern. Naja eigentlich hat das Wetter für uns entschieden, dass wir umplanen. Also fahren wir in die umliegenden Parks, machen viele Shots in den Straßen, lassen uns ein bisschen durch diese wunderschöne Stadt treiben. Überall Kneipen wie aus einem Film – auf meine Frage, ob ich einen Kaffee kriege, lässt ein Barkeeper sein Polierhandtuch sinken, tritt an die Theke und sagt: „We don´t do coffee here, mate. Go some other place, over the corner maybe, eh?“. Das klingt unfreundlich, fühlt sich aber nicht so an. Einfach nur direkt. Wir gucken an der anderen Ecke.
Die Dwarfies
Und wieder können wir bei Kamila schlafen – auf unsere letzte Nachfrage hat sie gesagt, dass wir raus fliegen, wenn wir noch einmal darüber reden. Abends gibt es aufwändiges Essen von uns und ein warmes Bett für lau. Kamila und ihre WG sind dazu übergegangen, uns „The Dwarfies“ zu nennen, weil wir immer unsere Mützen aufhaben und ständig rein und rauswuseln, um etwas zu drehen oder die Akkus zu laden. Auch diesen Spitznamen nehmen wir ohne Murren an, es gilt „Alles für die Kunst“. Schon nach wenigen Tagen fühlt sich das wie eine enge Freundschaft an, wir zeigen unser Material des Tages, geben mit der Drohne an und erneuern unsere Isolationskonstruktionen.
Die Zeit verfliegt recht schnell und wir fliegen zurück nach Berlin – Abschied von der verzauberten Stadt mit den wunderschönen Parks, Bergen und Tälern. Ihr müsst da hin, sage ich euch.
Constructing Lummerland
Für das Video brauchen wir noch eine warme Küchensituation, die sich nach zuhause und Geborgenheit anfühlt. Nach kurzem Nachdenken komme ich auf einen Kollegen, Leon, von dessen Wohnung ich sehr beeindruckt war. Er sagt zu und wir kommen vorbei, um am Küchentisch zu performen. Kurzerhand wird Leons Mutter verpflichtet, mir einen Kaffee einzuschütten und sich zunicken zu lassen – simpel aber wichtig, dieser Moment. Wir trinken noch schnell allen Kaffee aus und machen uns davon. Mission erfolgreich.
Das Ergebnis
Das Video zu Lummerland ist jetzt ganz anders geworden, als wir es geplant hatten. Wir wollten nur Landschaftsaufnahmen, Drohnenfahrten, Wanderszenen und Einsamkeit. Wegen der verdammten Natur mussten wir umdenken – und sind im Nachhinein sehr dankbar dafür. Nun hat das Video zwei tiefgehende Ebenen: Die eine zeigt die Geborgenheit, die Wärme und das Vertrauen – die zweite ist wortlos, nimmt Abschied und macht sich auf den Weg. Dieser Wechsel ist sehr stark spürbar. Ich sitze in Berlin am Küchentisch und trete in Edinburgh aus der Tür – das war so nicht geplant, ist aber viel besser als der ursprüngliche Plan.
Danke
Tausend Dank gehen ohne Frage an Kamila und ihre WG in Edinburgh, Leon und seine Familie in Berlin, Audiolith für die Möglichkeit und Urban Tree für den unermüdlichen und idealistischen Einsatz. Mit all dem Hintergrundwissen, was ihr jetzt habt: Gleich noch mal gucken!
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