Ich bin ein Campingkind. Während andere ihre Sommer in einem schönen Hotel verbracht haben, inklusive bequemem Bett und eigenem Bad, habe ich die Isomatte in meinem Zelt ausgerollt und mich in der Kloschlange angestellt. Zu Abend gegessen wurde auch nicht in einem Restaurant oder in einem Speisesaal, sondern vor unserem VW-Bus. Auf Plastikstühlen, mit Plastikgeschirr und meistens mit einem wunderschönen Blick auf das Meer. Es war toll. Ich war nie eifersüchtig auf die Hotelurlaubskinder dieser Welt, hatten sie doch einen faden Standardurlaub und ich ein Abenteuer.
Ich bin jetzt ein Vierteljahrhundert alt und habe in meinem Leben nur vier Hotelurlaube gemacht. Zwei davon deshalb, weil es so unpraktisch ist, auf transkontinentalen Reisen ein Zelt mitzuschleppen. Ich habe gelernt, den Campingplatz und die Menschen dort zu lieben, auch wenn sie mir hin und wieder auf die Nerven gehen. Für viele umgibt diese Urlaubsform wohl eine Wolke der Spießigkeit und klingt nach Kleinbürgertum in Reinform. Für mich ist es mehr als das. Durch jahrelange Beobachtungen von Menschen am Campingplatz kann ich sagen, dass es alles sein kann: Ja, auch spießig, aber vor allem auch lustig und absurd.
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Damit ihr eine bessere Vorstellung davon bekommt, lasse ich euch an meiner Erfahrung teilhaben. Hier also eine Zusammenfassung meiner schrägsten Begegnungen auf dem Campingplatz.
Die Nazicamper
Obwohl ich aus Kärnten komme, hatte ich lange keine Erfahrung mit Nazis—ehrlich. Zumindest nicht bis zu einem Kroatien-Urlaub vor ein paar Jahren. Wir hatten einen schönen Stellplatz, leicht versteckt, Blick aufs Meer—sehr privat, sehr idyllisch.
Ungefähr einen Tag lang, denn bereits am zweiten Tag teilten wir uns dieses Fleckchen mit einem Neonazi-Pärchen und ihren drei Kampfhunden. Er hatte eine Glatze, trug Hosen im Military-Look und verzierte seine Fingerknöchel mit dem tätowierten Wort “Patriot” (falls ihr euch fragt, wie das funktionieren soll: auf manchen Fingern hatte er zwei Buchstaben). Sie hatte gefärbte Haare, einen Undercut und hätte vielleicht auch als Punk durchgehen können, wäre sie nicht in seiner Gesellschaft gewesen. Der Bullterrier (Neely), der Schweißhund (Alfi) und der Pitbull (Ika), waren ziemlich aggressiv und nicht gerade das, was man als Schoßhündchen bezeichnen würde.
Jeden Morgen wurde Neelys rosa Näschen mit Sunblocker eingecremt und ihre sensiblen Pfoten wurden mit Lederpatschen versehen, um sie vor den spitzen Steinen zu schützen. Ansonsten entsprachen die finster dreinschauenden, harten Neo-Nazis aber so gar nicht dem Klischee, sondern gaben sich ziemlich spießig und brav.
Sie tranken keinen Alkohol, machten keinen Lärm, versuchten nicht, uns ihre Ideologie näher zu bringen und gingen um 23:00 Uhr ins Bett. Gleichzeitig wurde man immer nett gegrüßt und zum Abschied —trotz kaum vorhandener Kommunikation—sogar umarmt. Etwas später bekam ich eine Freundschaftsanfrage vom selbsternannten Patrioten auf Facebook. Sein Profilbild war ein gezeichnetes Hitlerporträt.
Der Jesus-Freak
Er war schon am Anfang auffällig, einfach auf Grund seiner Erscheinung. Er hatte lange Haare, einen ausladenden Bart und einen schlaksigen Körperbau, was ihm eine Jesus-ähnliche-Optik verlieh.
Eine Freundin der Familie, die uns auf diesem Urlaub begleitete, sollte ihn näher kennenlernen. Sie beschloss, eine Nacht am Strand zu schlafen, unter freiem Himmel und mit dem Rauschen des Meeres im Ohr. Ihre romantische Vorstellung einer Nacht unter den Sternen wurde jedoch unterbrochen, als der Jesus-Freak im Schlaf ihr Gesicht streichelte. Sie kannte ihn überhaupt nicht und reagierte entsprechend schockiert, wimmelte ihn ab und kehrte zu unserem Platz zurück. Normalerweise wäre das wohl das Ende gewesen. Aber Jesus wird wiederkehren, steht ja schon in der Bibel–und für seine Freaks gilt anscheinend dasselbe.
In unserem Fall kam er eine Nacht später wieder. Er hockte sich vor das Zelt unserer Bekannten und beobachtete sie beim Schlafen. Wir wissen nicht wie lange er dort saß; irgendwann wurden wir aber alle durch einen entsetzen Schrei geweckt. Ein paar deutliche Worte meines Vaters reichten aus, um ihn zu vertreiben.
Vielleicht wollte er ja einfach das Wort Gottes verkünden. In der Nacht. Während wir schliefen. Auf seine eigene, weirde, Jesus-freakige Art.
Die Nacktwanderer
Sommer, 30 Grad und ein Erotik-Fotoshooting in deiner Lieblingsbucht. Was machst du? Genau—stehenbleiben und zuschauen. Diese Idee hatten damals allerdings nicht nur wir, sondern auch ein steirisches Ehepaar mittleren Alters. Es brauchte zirka fünf Minuten Konversation mit ihnen, bis ich begriff, dass beide T-Shirts und Rucksäcke trugen, jedoch keine Badehosen anhatten. Frei nach dem Motto: oben Business, unten Party.
Das Seltsame war allerdings nicht, dass wir uns mit einem Nudistenpärchen ein Nacktfotoshooting ansahen, sondern dass die beiden so unglaublich spießig waren. Er hatte einen Schlapphut auf dem Kopf und sie ein Trachtentuch um die Schultern, gleichzeitig erzählten sie uns, wie schön es nicht wäre, hier wandern zu gehen und verwendeten dabei die Worte “herrlich” und “erfrischend”.
Am nächsten Tag überraschten sie uns beim Frühstück an unserem Platz. Diesmal komplett im Adamskostüm, allerdings mit festen Bergschuhen und einem ordentlichen Rucksack. Völlig frei von Scham kamen sie zu unserem Tisch und erzählten etwas von selbstgebackenen Krapfen, während sein Penis gefährlich nahe über meinem Brot baumelte.
Der Junkie
Meine Freundin Kathi und ich waren 16 und das erste Mal ohne Eltern auf Urlaub in Baska. Am zweiten Tag lernten wir Detlef und Michael kennen. Detlef war ein deutscher Schüler, der gern kitschige Gedichte schrieb und Michael ein 23-jähriger Steirer, der gern Drogen nahm. Kathi und Detlef fingen schnell an, zu knutschen.
Ich war damals vergeben und deshalb dazu gezwungen, mich mit Michael zu unterhalten—ein Opfer, das ich als gute Freundin natürlich gern auf mich genommen habe. Dabei wurde mir relativ schnell klar, dass Michael ziemlich am Ende war. Unser zuerst noch unschuldiges Gespräch übers Fortgehen wurde schnell zu einem Diskurs über Suizid und Drogen. Während sich die Zunge meiner Freundin an Detlefs Gaumenzäpfchen rieb, erzählte er mir alles über seine Vorliebe für halluzinogene Pilze und seinen Versuch, sich zu erhängen, der nur am falschen Knoten gescheitert war. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt fünf Minuten.
Sein freundliches Angebot, mit mir Drogen zu nehmen, lehnte ich ab. Noch nie hatte ich einen triftigeren Grund gegen den Konsum psychoaktiver Substanzen gesehen, als damals in ihm. Komischerweise konnte er am Ende des Abends sein Zelt nicht mehr finden und wollte sich bei mir einquartieren. In einem leichten Anflug von Panik verschwand ich einfach eine halbe Stunde auf der Damentoilette. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Die Fußballfamilie
Sie waren viele, mindestens sechs—zwei Erwachsene, vier Kinder. Also leider nur eine halbe Fußballmannschaft und keine Ganze, aber dafür umso größere Fans. Fans von Rapid Wien.
Ihr Campingmobil war direkt neben unserem, aber die Interaktionen beschränkten sich im Grunde auf ein höfliches “Hallo” und “Mhm, gut schaut das Essen aus”. Die räumliche Nähe führte dann aber doch noch dazu, dass wir uns im Verlauf dieses Urlaubes ganz gut kennenlernen sollten. Zumindest wir sie.
Zuerst einmal muss ich sagen: Es ist etwas Schönes, wenn ein Mensch ein Hobby hat. Noch schöner ist nur, wenn es sich dabei um eine Sportart handelt. In diesem Fall dient das Hobby nicht nur zur Zerstreuung, sondern auch zur körperlichen Ertüchtigung. Das ist gesund. Unsere Campingnachbarn hatten sogar mehrere Hobbys in einem: Sie zelebrierten nicht nur den Fußballsport, sondern auch ihre Liebe zur Musik und im Fall des Vaters der Familie sogar noch ein tiefgreifendes Interesse für Alkohol. Diese Hobby-Dreifaltigkeit brachte letzteren dazu, seine Kinder jeden Nachmittag zu “motivieren”, Fußballtrikots anzuziehen, sich in einer Reihe vor ihm aufzustellen und die Rapid Wien-Hymne zu singen. Für alle, die bei Wiener Vereinsfußball eher unbewandert sind, hier ein Auszug:
Rapid, Rapid, wir san a Einheit,
Rapid, Rapid, wir hoidn z’samm!
Egal wos kummt im Leb’n,
Rapid wird’s immer geb’n!
Während die Kinder exerzierten saß ihr Vater selig beim vielten Bier, stimmte immer wieder mit ein und blickte zufrieden auf seinen Nachwuchs, der in der Nachmittagshitze wirklich alles gab. Danach durften die Kinder zumindest selbst ein wenig mit dem Ball spielen. Immerhin.
Der Olivenbauer
Wir hatten damals einen der schönsten Plätze überhaupt. Direkt auf einem kleinen Hügel mit einem unglaublichen Blick über eine Inselgruppe—rund um uns niemand. Bis der Olivenbauer kam. Er war mit einem kleinen, geländegängigen Moped unterwegs und hielt es für angebracht, es genau auf unserem Platz zu parken (an dieser Stelle möchte ich nochmal an die Einsamkeit auf diesem Hügel erinnern und daran, dass er die Möglichkeit gehabt hätte, es überall anders abzustellen).
Er stieg ab und wir begrüßten ihn mit einem kurzen, leicht irritierten Lächeln. Ich bin nicht prüde oder leicht zu überraschen, aber ich fand es dann doch seltsam, als er anfing, sich direkt vor uns auszuziehen. Total nackt kam er uneingeladen zu uns, nannte uns “sympathisch” und erzählte etwas von Massagen mit seinem eigens hergestellten Olivenöl.
Ich war mir nicht sicher, ob es sich bei seinem Angebot um ein seltsames Marketingkonzept handelte, oder ob er einfach ein wenig “swingen” wollte (er war auch der Typ, der “swingen” sagen würde). Ich glaube, es war dann doch letzteres—denn ein paar Tage später entdeckte ich ihn beim Spannen am Strand, nackt und versteckt zwischen Zypressen
Camper sind also mehr als einfach nur “spießig”. Sie sind höfliche Nazis, konservative Nudisten, suizidgefährdete Junkies, perverse Olivenbauern und noch viel mehr. Vor allem aber lernt man sie nicht in der Isolation eines Hotelzimmers kennen, sondern in eben jener Freiheit die einem, auf diese ganz besondere Weise, nur ein Campingplatz bieten kann. Wer ein gewisses Interesse für menschliche Eigenheiten hat, ist hier besonders gut aufgehoben. Es gibt einiges zu sehen.